Das falsche Urteil - Roman
stellen und behaupten, Verhaven sei unschuldig, wäre ungefähr dasselbe wie nach Teheran zu reisen und zu verkünden, der Ayatolla habe sich in die Hose geschissen.«
»Ayatollas tragen ja wohl keine Hosen«, sagte Jung. »Die haben doch diese schwarzen Kittel, wie heißen die doch noch gleich...«
»Ja ja«, sagte Münster.
»Verhaven für unschuldig zu erklären, bedeutet ja auch, dass man etwas anderes tut«, erklärte Reinhart.
»Was denn?«, fragte Rooth.
»Man beschuldigt einen anderen aus dem Ort dieser Morde.«
Sie schwiegen einige Sekunden und Münster konnte genau
ablesen, wie lange es dauerte, bis Reinharts Worte bei allen angekommen waren.
»Das steht doch nicht fest«, sagte Rooth.
»Nein«, sagte Reinhart. »Es steht natürlich nicht fest, dass es in dem winzigen Städtchen einen anderen Mörder gibt, aber natürlich taucht dieser Gedanke bei den Leuten auf. Dieser Verdacht. Je kleiner das Kaff, um so schneller riechen sie Lunte, vergiss das nicht.«
»Stimmt«, sagte Moreno.
»Also«, sagte Münster, als er das Tonbandgerät ausgeschaltet hatte und die anderen gegangen waren. »Was meinst du?«
»Nichts«, seufzte Rooth. »Oder eher alles Mögliche. Ich gäb wirklich was für ein paar gute Tipps. Worauf, zum Teufel, sollen wir uns denn konzentrieren?«
»Keine Ahnung«, sagte Münster. »Hiller wird uns sicher bald zurückpfeifen, das hab ich im Gefühl. Dann sind wahrscheinlich nur noch du und ich übrig... ja, und natürlich der Ermittlungsleiter.« Er nickte zum Tonbandgerät hinüber.
»Wenn wir nicht auf eine brauchbare Spur stoßen«, sagte Rooth.
»Wenn die Zeitungen nicht schwere Geschütze auffahren, solltest du lieber sagen«, meinte Münster. »Morgen bringen sie ja wohl die Sache. Ist vielleicht nicht so schlimm. Wir brauchen doch alle Hilfe, die wir kriegen können.«
»Aber was glaubst du eigentlich selber?«, fragte Rooth, als sie sich in der Tiefgarage trennten. »Meinst du wirklich, dass in diesem Kaff ein Dreifachmörder frei herumläuft? Mir kommt das vor wie ein verdammt mieser Film.«
»Der wird nur dann besser, wenn wir wissen, wer das ist«, sagte Münster. »Nein, ich sollte ihn wohl lieber gleich abstellen.«
Rooth dachte nach.
»Vielleicht sitzen wir ja wirklich in einem Kino«, sagte er. »Vielleicht ist das Hinausgehen so schwer, wenn man mitten in der Reihe sitzt.«
»Zweifellos«, sagte Münster.
Sie schwiegen eine Weile.
»Trinken wir ein Bier?«, fragte Rooth.
Münster schaute auf die Uhr.
»Geht nicht«, sagte er. »Muss zu unserem Kranken. Nach acht lassen die keinen Besuch mehr ein.«
»Schade«, sagte Rooth und zuckte mit den Schultern. »Bestell ihm einen schönen Gruß. Ich glaube, wir könnten ihn wirklich brauchen.«
»Finde ich auch«, sagte Münster.
Warum lüge ich, fragte er sich, als er mit dem Auto in seinen Vorort fuhr. Warum konnte ich nicht einfach sagen, dass ich zu Synn und den Kindern nach Hause will? Warum musste ich den Kommissar hineinziehen?
Van Veeteren würde seine Bänder am nächsten Morgen nach dem Frühstück erhalten, so hatte sie das abgemacht. Aber wenn er Rooth nicht verletzen wollte, indem er die Einladung zum Bier ablehnte, warum war ein operierter alter Bulle ein besserer Grund als Frau und Kinder?
Eine gute Frage, zweifellos.
Er beschloss, lieber an etwas anderes zu denken.
26
Van Veeteren faltete die Allgemeine zusammen und ließ sie auf den Betonboden fallen. Dann legte er das Band ein, rückte die Kopfhörer gerade und ließ sich auf das Kissen zurücksinken.
Elgars Cellokonzert. Die Sonne im Gesicht und ein sanfter Wind. Gar nicht schlecht.
Es gehörte sicher nicht zur Routine, dass die Kranken es sich auf dem Balkon gemütlich machen durften, das war ihm durchaus klar. Aber andererseits war während der fünf Tage, in denen sie mit ihm nun schon zu tun hatten, so gut wie keine Regel ungebrochen geblieben. Überhaupt ließen die Krankenhausvorschriften einiges zu wünschen übrig, aber das Personal schien immerhin begriffen zu haben, mit wem sie es hier zu tun hatten. Immerhin.
»Aber höchstens eine halbe Stunde«, hatte Schwester Terhovian erklärt und aus irgendeinem Grund vier Finger vor sein Gesicht gehalten.
»Werden sehen«, hatte er geantwortet.
Inzwischen war eine Dreiviertelstunde vergangen. Sicher hatten sie eingesehen, dass es angenehmer war, ihn nicht im Haus zu haben.
Er rief sich das, was er zuletzt gelesen hatte, wieder in Erinnerung. Es gab dazu eigentlich nicht
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