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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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viel zu sagen. Dicker Artikel auf der ersten Seite, eine zweispaltige Zusammenfassung weiter hinten, aber erstaunlich wenige Spekulationen. Eigentlich überhaupt keine.
    Das vierte Mal, also. So war das. Seit Verhaven mit zwanzig Jahren seine Karriere als Läufer begonnen hatte, hatte er aus vier verschiedenen Anlässen Schlagzeilen gemacht.
    Gegen Ende der fünfziger Jahre als Mittelstreckenkönig. Als König und dann als Betrüger.
    Anfang der sechziger Jahre als Mörder.
    An die zwanzig Jahre später abermals als Mörder.
    Und jetzt, um die Mitte der neunziger Jahre, eben als Opfer. Sein letzter öffentlicher Auftritt, konnte man annehmen.
    Eine logische Entwicklung und ein erwarteter Schlusspunkt?, fragte Van Veeteren sich und drehte die Musik ein wenig lauter, um die Busse unten im Palitzerlaan nicht hören zu müssen.
    Ein logisches Ende für ein vergeudetes Leben?
    Schwer zu sagen.

    Welches Muster zeigte Leopold Verhavens Leben? Gab es in diesem bizarren und schwer begreiflichen Menschenschicksal überhaupt irgendeine klare Linie?
    Könnte man, überlegte Van Veeteren, zum Beispiel einen Film über sein Leben drehen und dabei etwas Wesentliches über seine Lebensbedingungen aussagen? Über unser aller Lebensbedingungen? Das war immerhin eine gute Frage.
    Oder ging es hier nur um eine traurige Folge von unglückseligen Umständen? Um eine düstere und triste Geschichte eines vom Schicksal geschlagenen Ausnahmemenschen, dessen zerstückeltes Ende ebenso sinnlos war wie sein ganzes Leben?
    Kein Leben, über das man einen Film drehen könnte?
    Er biss einen Zahnstocher entzwei und versank wieder in Gedanken.
    Müsste es nicht möglich sein, jedes Leben in einer der vielen Formen der Kunst wiederzugeben? Vielleicht passten zu den verschiedenen Menschen auch verschiedene Genres. Wie sah es mit seinem eigenen Leben aus? Was könnte dabei herauskommen? Eine Sinfonette, zum Beispiel? Oder eine Betonskulptur? Ein halbes Blatt Papier?
    Wer weiß, dachte er.
    Und jetzt lag er hier und stellte sich wieder diese vielen fruchtlosen Fragen. Prätentiöse und unbegreifliche Fragen, die nur durch seinen Kopf zu wirbeln schienen, um dem aggressiven Cello einen vergeblichen und idiotischen Kampf zu liefern.
    Da wären ein Bier und eine Zigarette doch besser, dachte er und drückte auf den weißen Knopf. Verdammt viel besser.
     
    Anstelle von Schwester Terhovian erschien Münster in der Türöffnung. Der Kommissar schaltete das Tonbandgerät aus und streifte die Kopfhörer ab.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Münster.

    »Wie meinst du das? Natürlich ist nicht alles in Ordnung, verdammt noch mal. Hier liege ich auf meinem einsamen Lager und kann nicht anders. Seid ihr weitergekommen?«
    »Das nicht gerade«, sagte Münster. »Scheint hier in der Sonne ja angenehm zu sein.«
    »Heiß und klebrig«, sage Van Veeteren. »Ich könnte ein Bier vertragen. Also?«
    »Was heißt also?«
    »Hast du die Bänder mitgebracht, zum Beispiel?«
    »Sicher... alle beide. Gar nicht leicht, den Gossec zu finden, übrigens, aber Laudener hatte ihn.«
    Er zog zwei Kassetten aus einer Plastiktüte und reichte sie dem Kommissar.
    »Die rote ist von der Besprechung...«
    »Meinst du vielleicht, ich könnte den Unterschied zwischen einem Requiem und einer Menge quasselnder Bullen nicht heraushören?«
    »Na, das will ich doch hoffen«, sagte Münster.
    »Ich habe die Allgemeine gelesen«, sagte Van Veeteren unangefochten. »Was steht in der restlichen Journaille?«
    »Dasselbe, so ungefähr«, sagte Münster.
    »Keinerlei Spekulationen über das Motiv?«
    »Nein, ich habe jedenfalls keine entdeckt.«
    »Seltsam«, meinte Van Veeteren.
    »Wieso das?«, fragte Münster.
    »Na, die kommen sicher noch. Ich sehe jetzt auf jeden Fall alles klar vor mir. Habe gestern Abend die Marleneunterlagen gelesen. Ich möchte wetten, dass er in beiden Fällen unschuldig war. Hältst du dagegen, Polizeidirektor?«
    »Nein, danke«, sagte Münster. »Wir neigen inzwischen auch zu dieser Annahme. Wissen nur nicht so recht, wie wir jetzt weitermachen sollen.«
    »Natürlich wisst ihr das nicht«, brummte der Kommissar. »Ich habe euch ja noch keine Befehle erteilt. Fahr mich ins Zimmer zurück, dann bringen wir Schwung in die Sache. Es
ist einfach unmöglich, dass die die Kranken auf den Balkon schleppen und endlos lange da rumliegen lassen. Der reine Backofen...«
    Münster riss die Tür sperrangelweit auf und schob das große Stahlrohrbett wieder ins Haus.
    »Womit fangen

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