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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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durchaus keine Frau darin aufgefallen war. Welche Rolle diese Aussagen bei der endgültigen Entscheidung gespielt hatten, war ein Rätsel.
    Schrecklich, murmelte Van Veeteren und spuckte die Überreste des Zahnstochers auf die Bettdecke. Dass Mort da wirklich mitgemacht hatte? Und Heidelbluum?
    Dass die anderen, die Schöffen, diese halbgebildeten Gerichtsdiener, mehr als nur ein Auge zudrücken konnten, wusste er aus bitterer Erfahrung, aber dass der Richter und der Kommissar das hatten durchgehen lassen, war eine düstere Überraschung. Eine schwer verdauliche, ganz einfach. Natürlich war das nicht mehr Morts Angelegenheit gewesen, als die Sache erst vor Gericht angelangt war, aber trotzdem?

    Allerdings war er während dieser letzten Jahre wohl nicht mehr ganz er selber gewesen. Das musste die Erklärung sein, und vielleicht war deshalb ein gewisses Verständnis angesagt.
    Und Heidelbluum war damals fast siebzig.
    Hoffentlich schmeißen sie mich raus, ehe ich so viel von meinem Verstand verliere, dachte er. Aber vielleicht sterbe ich, ehe ich meinen Verstand verliere? Das wäre eine Gnade, um die man wohl durchaus beten könnte.
    Aber was war nun mit diesem alten Fall? Am Ende hatte er doch auf der Anklagebank gesessen und sich wie der schuldigste Schuldige aller Zeiten aufgeführt, dieser verdammte Verhaven.
    Abgesehen davon, dass er alles abgestritten hatte, natürlich.
    Unbegreiflich, entschied Kommissar Van Veeteren. Und nichts verabscheue ich so sehr wie das, was ich nicht begreife.
    Er schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Nach einem kurzen Schwindelanfall stand er dann auf dem kalten Boden. Es verschaffte ihm einen gewissen Genuss, dass er sich wieder aus eigener Kraft bewegen konnte. Das ließ sich nicht leugnen.
    Auch wenn Gebrechlichkeit und Schwindelanfälle ihm noch immer ziemliche Angst machen. Auch das ließ sich nicht leugnen.
    Morgen kann ich auf jeden Fall nach Hause, dachte er, als er die Toilettentür schloss. Und dann würde es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ich diese Kiste nicht klären könnte!
    Doch als er sich dann auf den kalten Sitz sinken ließ, ging ihm auf, dass es vielleicht nicht ganz so einfach sein würde.
    Denn natürlich hatte er schon hier im Krankenhaus alle bekannten Tatsachen überprüft: stapelweise Zeitungsberichte. Gerichtsprotokolle. Bandaufnahmen der Dienstbesprechungen und detaillierte Schilderungen von Münster.

    Was konnte er also nach seiner Entlassung sonst noch tun? Eine weitere gute Frage.

30
    »Gehen wir doch lieber ins Cafe«, hatte David Cuppermann geflüstert und ihn durch die Tür gelotst.
    Jetzt, wo sie in einer abgelegenen Ecke des nach Bratenfett riechenden Lokals saßen, sah er um einiges ruhiger aus, wie Jung feststellen konnte. Er brauchte auch nicht lange im Unklaren über den Grund zu schweben.
    »Wollte meine Frau nicht reinziehen«, erklärte Cuppermann. »Sie ist ein bisschen empfindlich und hat keine Ahnung von diesen Sachen.«
    Jung nickte und hielt ihm seine Zigaretten hin.
    »Nein, danke. Ich habe aufgehört. Auch das Verdienst meiner Frau«, fügte er hinzu und lächelte, als ob er um Entschuldigung bitten wolle.
    Jung gab sich Feuer.
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte er. »Wir stellen nur ein paar Routinefragen. Sie haben vielleicht in der Zeitung gelesen, dass Leopold Verhaven ermordet worden ist?«
    »Ja.«
    Cuppermann nickte und betrachtete seine Kaffeetasse.
    »Sie waren damals in Ulming also einige Zeit mit Beatrice Holden zusammen. Wann genau war das? Gegen Ende der fünfziger Jahre?«
    Cuppermann seufzte. Ganz offenkundig, dachte Jung, wenn dieser ängstlich sittsame Mann sich über etwas grämt, dann über diese unglückselige Jugendliebschaft.
    »1958«, sagte Cuppermann. »Wir haben uns im Dezember 57 kennen gelernt und sind zwei Monate danach zusammengezogen. Sie war damals schwanger ... ja, und dann haben
wir bis zum Februar des folgenden Jahres zusammengewohnt. Es war nicht mein Kind.«
    »Nicht?«, sagte Jung und versuchte so überrascht wie möglich zu klingen.
    »Wir ... sie bekam im August 58 eine Tochter, Christine, aber die hatte also einen anderen Vater.«
    »Wann haben Sie das erfahren?«
    »Als Christine fünf Monate alt war. Da kam er zu Besuch, und als er gegangen war, hat sie alles erzählt.«
    »O verdammt«, rutschte es Jung heraus. »Verzeihen Sie, aber besonders lustig kann das für Sie doch nicht gewesen sein?«
    »Nein«, sagte Cuppermann. »Lustig war das nicht.

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