Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
wohl der Fall, dachte Münster. Aber manchmal hatte er eben das Gefühl, dass Van Veeteren um so unergründlicher wurde, je näher er ihm kam.
    »Schwer zu sagen«, sagte er. »Auf jeden Fall hat er etwas, das steht fest. Aber als ich ihn zuletzt gesehen habe, murmelte er etwas von einem dünnen Faden... und wie lange ein dicklicher Polizist in einem Spinngewebe sitzen kann und so. Kam mir nicht sonderlich enthusiastisch vor, aber wir wissen ja, wie er ist...«
    »Ja, das wissen wir«, Jung nickte. »Anders als alle anderen auf jeden Fall, das steht fest.«
    In seiner Stimme schwang deutliche Bewunderung mit; das war unverkennbar, und plötzlich wünschte Münster, diese dem Kommissar auf irgendeine Weise vermitteln zu können. Und das war vielleicht ja auch nicht ganz unmöglich, dachte er dann; seit dieser Krebsgeschichte hatte er das Gefühl, dass ihre Zusammenarbeit und ihr Kommunikationsverhalten sich auf etwas offenere See hinausbewegten. Auf Ebenbürtigkeit und größeren gegenseitigen Respekt zu. Oder wie immer man das nun nennen wollte.
    Trotz aller Unergründlichkeit allerdings. Und diese Bewegung hatte gerade erst eingesetzt.
    »Ja«, sagte er. »Van Veeteren ist Van Veeteren.« Er schaute zum Flügel hinüber. »Warum kommt da niemand? Reinhart hatte auf ein Uhr getippt, und jetzt ist es schon zwanzig nach.«
    »Keine Ahnung«, sagte Jung. »Aber hier kommt immerhin unsere Seezunge. Hmmmm!«
     
    Eine Dreiviertelstunde später verließ Edward Masseck den Tisch, an dem er die ganze Zeit hindurch allein gesessen hatte. Jung hatte eben eine zusätzliche Portion kandierte
Walnüsse bestellt, aber sie beschlossen, doch gleich um die Rechnung zu bitten und den Kollegen draußen Bericht zu erstatten.
    »Verdammt«, sagte Reinhart, als er hörte, dass die Beute entkommen war. »Wie konnte das denn passieren?«
    »Bitte sehr«, sagte Münster und gab ihm die Rechnung.
    Reinhart starrte das blassblaue Stück Papier an.
    »Ja verflucht«, sagte er. »Stauff und ich sitzen hier seit zwei Stunden bei einer halben Tüte Erdnüsse.«
    »Es hat ausgesprochen gut geschmeckt«, teilte Jung vom Rücksitz her mit. »Vielleicht wäre es eine gute Idee, morgen noch einen Versuch zu unternehmen.«

37
    Dvořáks Neue-Welt-Musik hatte ihn während der letzten achtzig bis hundert Kilometer umschlossen, und auch diesmal war sie die richtige Entscheidung gewesen. Im Laufe der Jahre hatte er einen gewissen Sinn dafür entwickelt —für das Verhältnis Aufgabe, Witterungs-Jahreszeit und Musik eben. Es gab steigende und fallende Bewegungen, denen man folgen musste, statt sich ihnen zu widersetzen. Strömungen und Analogien, die miteinander agierten; die miteinander harmonierten und sich gegenseitig Klarheit schenkten ... oder wie immer man das nun formulieren wollte. Es war schwer, das in Worte zu fassen und zu erklären. Um so einfacher war es, das zu begreifen.
    Und im Laufe der Jahre wurde es sogar immer einfacher. Doch während dieser Jahre war auch sein Misstrauen den Wörtern gegenüber gewachsen. Das konnte natürlich niemanden überraschen – wenn man an sein normales Arbeitsmilieu dachte, wo es eher die Ausnahme als die Regel war, dass jemand sich an die Wahrheit hielt.
    Sprache ist Lüge, hatte jemand gesagt.

    Die Neue Welt also. Und während die Wolken sich verzogen und die Nachmittagssonne den beständigen Regen der Nacht und des Morgens aufsaugte, näherte er sich seinem Ziel. Die Angst vor Schwindelanfällen und Verkehrsunsicherheit hatte sich nicht bestätigt. Allerdings hatte er auch immer wieder Pausen eingelegt, hatte bei Kaffee und Kuchen in tristen Rastbunkern aus Beton und schmutzigem Glas gesessen, kurze Spaziergänge unternommen, sich viele Male die Beine vertreten und sogar bestimmte Turnübungen gemacht, die das postoperative Programm, das man ihm bei seiner Entlassung in die Hände gedrückt hatte, energisch empfahl.
    Außerdem hatte er sich Tabak und Alkohol versagt. Er wollte ja auch wieder nach Hause. Das hatte er zumindest vor.
    Sein Zahnstochervorrat war viel früher zu Ende gewesen als Dvořák.
     
    Er hielt auf einem kleinen, unregelmäßig geformten Platz namens Cazarro-Platz, und während er nach einem brauchbaren Lokal Ausschau hielt, fragte er sich, wer Cazarro gewesen sein mochte. Hörte sich schließlich eher wie ein Konquistador an als wie ein nordeuropäischer Staatsmann.
    Zwischen einem Warenhaus und einem Bürohaus im Stil der fünfziger Jahre entdeckte er ein kleines italienisches

Weitere Kostenlose Bücher