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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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sprach nichts dafür, dass es diesmal so weit kommen würde.
    Oder vielleicht doch?
    Er schaute auf die Uhr und sah ein, dass er dringend bezahlen und sich auf den Weg machen musste, wenn er die Nonne nicht warten lassen wollte.
     
    Die Wohnung war weiß angestrichen und sparsam eingerichtet. Es gab nur ein Minimum an Möbeln, im Wohnzimmer, in das sie ihn führte, gab es nur eine niedrige Couch, zwei Sitzkissen und einen Tisch; in einer Ecke sah er ein Bücherregal und einen Betstuhl. An den Wänden hingen ein Kruzifix und zwei Kerzenhalter aus Messing. Dazu ein Bild eines Kirchenfensters, vermutlich aus der Kathedrale von Chartres. Das war alles.
    Kein Fernseher, keine Sessel, kein Tand. Auf dem Boden ein großer Teppich in dunklen Farben.
    Schön, dachte Van Veeteren und setzte sich auf die Couch. Nur das Wesentliche. Die Essenz.
    Seine Gastgeberin schenkte Tee aus einer Tonkanne ein. Herbe, getöpferte Tassen ohne Henkel. Dünne Kekse. Kein Zucker, keine Milch. Sie fragte ihn nicht einmal, ob er Zucker oder Milch wollte, und er wollte auch gar nicht.
    Sie war alt, sicher mindestens fünfzehn Jahre älter als er, doch Vitalität und klarer Verstand umstrahlten sie wie eine Aura. Er erkannte, dass er vor einem Menschen stand, der mehr als nur den üblichen Respekt einflößte und verlangte.
Die vertraute Achtung stellte sich ein, die ihn manchmal angesichts von überzeugten religiösen Menschen erfüllte – die Antworten mit Hilfe von Fragen gefunden hatten, die er höchstens annäherungsweise formulieren konnte, eine ... Hochachtung, die sich ebenso natürlich in ihr Gegenteil verwandeln konnte, in Verachtung und Ekel, wenn er es mit dem Gegenteil zu tun hatte; den gläubigen Herden, den gehorsam und laut blökenden Schafen. Den Mitläufern der Frömmelei.
    Er erkannte ihre Qualitäten schon, als sie einander die Hand reichten; sie war eine dünne Frau mit ernsthaften, lebhaften braunen Augen, einer hohen Stirn und einer geraden Haltung. Sie ließ sich ihm gegenüber nieder, mit einer weichen Kniebewegung setzte sie sich auf ein Kissen. Als sie auf asiatische Weise ihre Beine angezogen hatte, hätte sie auch eine fünfundzwanzigjährige Buddhistin sein können, dachte er staunend. Aber sie war nun einmal eine dreimal so alte katholische Nonne.
    »Bitte sehr«, sagte sie.
    Er kostete den nach Rauch duftenden Tee. Griff nach dem Ordner, den er neben sich auf den Boden gelegt hatte.
    »Ich glaube, ich muss Sie bitten, mir Ihr Vorhaben noch einmal zu erklären.«
    Er nickte. Wusste plötzlich, dass Ordner und Fragebogen die pure Beleidigung wären. Klimkes Rasiermesser, das er erst kürzlich dem Polizeichef so bravourös ins Gesicht geworfen hatte, richtete sich nun auf ihn selber und auf niemanden sonst.
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte er. »Ich heiße Van Veeteren, aber ich bin nicht der, für den ich mich ausgegeben habe. Ich bin Kriminalkommissar und arbeite auf der Wache in Maardam ... es geht um eine Geschichte, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Reicht Ihnen meine Versicherung, dass ich in einer bösen Angelegenheit mit guten Absichten vorgehe?«

    Sie lachte.
    »Ja«, sagte sie. »Es geht um Anna, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«
    Der Kommissar nickte.
    »Sie hat während ihrer letzten Lebensjahre bei Ihnen gewohnt? Von 1987 bis 1992, stimmt das?«
    »Ja.«
    »Sie haben sich um sie gekümmert und sie gepflegt?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil ich dazu berufen bin. So arbeiten wir in unserem Orden. Das ist eine Möglichkeit, um für Sinn zu sorgen. Und für Liebe zwischen den Menschen... Anna hatte sich an uns gewandt, wir sind an die zwanzig Schwestern, und ich war gerade frei.«
    Er dachte kurz nach.
    »Ich nehme an, dass Sie... ihr schließlich sehr nahe gestanden sind?«
    »Wir haben einander viel bedeutet.«
    »Und Sie haben einander Vertrauen geschenkt?«
    »Natürlich.«
    »Würden Sie von ihrer Krankheit erzählen?«
    »Was möchten Sie wissen?«
    »War sie die ganze Zeit bettlägerig, zum Beispiel?«
    Er erkannte, dass sie schon wusste und sich überlegt hatte, wie dieses Gespräch weitergehen sollte, aber vielleicht spielte dieses Wissen keine Rolle.
    »Es ging ihr später besser.«
    »Besser?«
    Plötzlich war sie ernster.
    »Ja, Kommissar. Es ging ihr besser. Sie müssen verstehen, dass ihre Verletzung nicht nur in den Hüften saß. Es gibt auch eine Seele.«
    »Davon habe ich gehört«, sagte Van Veeteren mit unbeabsichtigter Ironie. »Aber was wollen Sie damit

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