Das falsche Urteil - Roman
einen Tisch unter einer Platane gefunden. Leerte das hohe Glas in zwei Zügen und bestellte noch eins. Nahm sich eine Zigarette und ließ sich zurücksinken.
O verdammt, dachte er noch einmal. Was zum Henker stimmt hier denn nicht?
Wie weit mochte es bis Wappingen sein?
Zweihundert Kilometer? Mindestens.
Aber wenn er früh schlafen ging, müsste er doch zweihundert Kilometer fahren können? Mit Pausen und noch mehr Pausen und überhaupt? Und wenn er dort übernachten müsste, wäre das doch auch nicht weiter schlimm. Im Moment fehlte es ihm wahrlich nicht an Zeit. Eher war das Gegenteil der Fall.
Er überprüfte noch einmal die Adresse in seinem Ordner.
Er wollte lieber anrufen und eine Verabredung treffen, für alle Fälle.
Und warum die Tarnung wechseln, wo sie doch so gut zu funktionieren schien?
Bier Nr. 2 wurde geliefert und er saugte den Schaum herunter.
Was für eine verdammte Geschichte, dachte er. Habe ich wohl jemals einen dünneren Faden verfolgt?
Gut, dass sonst niemand in die Sache verwickelt ist, immerhin.
36
»Was machen wir hier?«, fragte Jung.
»Einen Bissen essen, zum Beispiel«, sagte Münster. »Setz dich und versuch so auszusehen, als seist du hier zu Hause.«
Vorsichtig nahm Jung Platz und sah sich in dem eleganten Lokal um.
»Ist nicht so leicht«, stellte er fest. »Aber was ist eigentlich los? Ich nehme ja nicht an, dass wir im teuersten Lokal der Stadt sitzen, um unsere schönen blauen Augen vorzuzeigen.«
»Siehst du diesen Typen da beim Flügel, den in dem dunkelblauen Anzug?«, fragte Münster.
»Sicher«, erwiderte Jung. »Ich bin doch nicht blind.«
»Reinhart hält ihn für einen von den führenden Neonazis ... er heißt Edward Masseck.«
»So sieht er aber nicht aus.«
»Nein, und er ist auch nicht gerade bekannt, sagt Reinhart. Aber alles ist gut belegt. Steckt offenbar hinter allem möglichen Dreck. Brandstiftung in Flüchtlingsheimen. Krawallen, Friedhofsschändungen und allem Möglichen. Und heute wartet er auf einen Kontakt aus der Hochfinanz, auf ein richtig hohes Tier. Wir wissen nicht, auf wen genau, und wenn er kommt, sollen wir sie einfach so ungefähr eine Viertelstunde sitzen und tun lassen, was sie nun immer vorhaben. Danach rufst du vom Telefon in der Vorhalle aus an, während ich die beiden festnehme. Reinhart und einige andere warten in zwei Wagen gleich um die Ecke.«
»Aha«, sagte Jung. »Und warum macht Reinhart das nicht selber?«
»Masseck würde ihn erkennen«, sagte Münster. »Und jetzt wird gefressen. Was sagt der Assistent zu einer Hummermousse als Vorspeise?«
»Gab’s eigentlich schon zum Frühstück«, sagte Jung. »Aber zur Not kann ich noch was runterpressen.«
»Diese Verhavengeschichte«, sagte Jung, während sie auf das Hauptgericht warteten. »Was wird eigentlich mit der?«
Münster zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung«, sagte er. »Ich habe auch nichts mehr damit zu tun, offenbar sollen keine Ressourcen mehr dafür verbraucht werden. Vielleicht ist das ja auch verständlich.«
»Weshalb denn?«
»Die haben wohl Angst davor, in den alten Prozessen herumzustochern. Könnte doch einen verdammten Ärger geben, wenn sich erweist, dass Verhaven unschuldig war ... und sei es nur Ärger mit der Presse.«
Jung kratzte sich im Nacken.
»Und was sagt der Kommissar?«
Münster zögerte kurz.
»Keine Ahnung. Der ist doch noch immer krankgeschrieben. Aber natürlich sitzt er nicht zu Hause und dreht Däumchen.«
»Stimmt es, dass er jemanden auf dem Kieker hat? Gestern war in der Kantine kurz davon die Rede. Jemanden, der der Mörder sein kann, meine ich?«
Jungs Neugier war unverkennbar und Münster ging auf, dass ihm diese Fragen auf der Zunge lagen, solange sie überhaupt schon in diesem Restaurant saßen.
»Tja«, sagte er. »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus war ich mit ihm draußen in Kaustin ... er hat sich da oben so ungefähr eine Stunde lang rumgetrieben, und danach sah er aus wie ... ja, du weißt schon.«
Jung nickte.
»Das ist doch verdammt noch mal unglaublich«, sagte er. »Wir kämmen diesen Ort mehrere Wochen lang durch, mit vier oder fünf Leuten, ohne etwas von Bedeutung zu finden. Und dann fährt er hin und hat schon nach einer Stunde eine Spur am Wickel. Was? Hältst du das wirklich für möglich?«
Münster dachte eine Weile nach.
»Was meinst du selber?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, sagte Jung. »Du kennst ihn doch am besten.«
Ja, das ist
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