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Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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Daddy kennengelernt?«, fragt Emily, meine Rivalin. »Wie hast du ihn eigentlich kennengelernt?«
    »Bei einer Tanzveranstaltung.«
    »Was hattest du an?«, fragt ihre Schwester, die immer auf meiner Seite ist.
    »Ich hatte...« Es ist lange her, ich kann mich nicht mehr daran erinnern und sage: »Ich hatte ein blaues Kleid an.«
    Das stimmt vermutlich nicht, aber es gefällt ihnen. Und es stimmt, dass Tom einen eleganten Anzug trug, als ich ihn eines Abends in der Suzey Street anlächelte – und auf schwermütige Art weiterlächelte, bis er endlich aufhörte zu reden und sich einfach herüberbeugte.
    »Woher hast du gewusst, dass er’s ist?«, fragt Emily.
    »Wie bitte?«
    »Woher hast du gewusst, dass es Daddy war?«
    »Ich wusste es einfach«, sage ich. »Ich wusste es einfach.«
    Was stimmt – wenn auch nicht so, wie die Mädchen es erwarten. Ich kann ihnen ja nicht sagen, dass er damals mit einer anderen Frau zusammenlebte und dass ich in dem Moment, als ich die beiden sah, zwei Dinge wusste: erstens, dass er nicht ihr gehörte, und zweitens, dass er mir gehörte.
    Ich konnte ihn glücklich machen. Das war alles. Das wusste ich ziemlich genau: dass ich diesen Mann glücklich machen konnte.
    »Ich wusste, dass er euer Daddy war, weil er sich immer so gerade hielt.«
    Das muss reichen. Irgendwie stimmt es sogar. Ich mochte auch den Bogen seiner Oberlippe und die Art, wie sein Jackett offen stand, als er sich herüberbeugte, um mit mir zu reden, die Vertiefung in seiner Brust, als er sich bückte, die Mischung aus Überheblichkeit und Zuwendung.
    Große Männer, sie sind so schwerfällig. Sie klappen zusammen, als hätte man ein verborgenes Scharnier beschädigt.
    Aber das ist es nicht, was man zehn Jahre später seinen Töchtern erzählt: dass ihre Eltern nur durch Zufall miteinander schliefen und dass Wochen vergingen, bevor es ihnen gelang, sich dabei all ihrer Kleider zu entledigen. Dass ihr Vater vor lauter Schuldgefühlen dermaßen außer sich war, dass er mir tatsächlich Angst einjagte – bis zu dem Moment, als ich überhaupt keine Angst mehr hatte. Dass wir einfach mitgerissen wurden. Dass wir danach über sie sprachen. Und als wir damit abgeschlossen hatten, über sie zu sprechen, und sie endlich von der Bildfläche verschwunden war, rund sechs Monate später, liebten wir uns triumphierend, zärtlich, und danach …
    Danach.
    Es war an der Zeit, ein Haus zu kaufen, vermute ich. Aber das Ungestüme der ersten Zeit war wichtig. Und auch die andere Frau war wichtig. Etwas Rücksichtslosigkeit. Ein Pakt. Blutvergießen. Da wir wussten, dass wir, was Ehrgeiz oder Beschädigtsein angeht – nennen Sie’s, wie Sie wollen -, im anderen unser Ebenbild gefunden hatten, wussten wir auch, dass wir es eines Tages gutmachen würden: mit zwei wunderschönen Töchtern in zwei wunderschönen Kinderzimmern. Gerade gewachsen, kein Zweifel, und gescheit. Mit Töchtern, die auf die ihnen zugedachte Privatschule gehen würden und die wir jede für sich vermessen, erörtern, ausloten würden, die geliebt werden würden.
    Das zumindest war der Plan.
    »Und was ist dann passiert?«
    »Dann haben wir geheiratet.«
    »Und dann, was ist dann passiert?«
    »Dann haben wir euch bekommen!«
    »Ja!!!«
    Und euer Vater hat euch nur einmal kurz betrachtet und ist aus dem Zimmer gelaufen. (Und das stimmt ganz gewiss nicht. Sehen Sie!, er ist noch hier.)
    Tom ist von Jesuiten unterrichtet worden – was, wie er sagt, erklärt alles. Er hat einen sehr klaren Blick für die Welt, und dennoch stellt er sich ständig selbst infrage. Er setzt sich unter Druck und ist nur selten zufrieden mit sich. Mit anderen Worten, er ist völlig selbstbezogen, aber auf die feinste Art. Ich sehe ihn vor mir, einen langen sexy Strich des Jammers, das Gesicht in ein Glas obskuren Scotch getunkt, wie er dem Wasserzeichen des Versagens nachspürt, das sich durch sein Lebensbuch hindurchzieht, von einer Seite zur nächsten.
    Und wenn er seine Kinder betrachtet, weiß ich nicht, was er eigentlich sieht. Er liebt sie, aber sie sind ihm im Weg . Und auch ich, ob er mich nun liebt oder nicht, bin ihm im Weg . Aber da täuscht er sich. Ich bin ihm nicht im Weg. War ich nie.
    Wenn es zum Streit kommt, dann sind dies die Tatsachen: Als Tom sein Geschäft gründete und ich ein kleines Kind hatte, überließ ich das Kind einer Tagesmutter und arbeitete Tag und Nacht, um für die Hypothekenrückzahlungen aufzukommen. Als er jedoch Geld zu verdienen begann, war klar,

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