Das Familientreffen
dass sein Geld sehr viel wichtiger war als alles Geld, das ich je verdienen könnte, dass seine Arbeit eine wichtige Arbeit war, dass man bei so viel Wichtigkeit nicht von ihm erwarten konnte, dass er sich darum kümmerte, die Kinder abzuholen, die Windeln zu wechseln, den Rotz abzuwischen und die Kinder wieder wegzubringen. Und am Ende gab ich meine Arbeit auf, damit wir ihm nicht dauernd im Weg waren.
Aber auch wenn dies die Tatsachen sind, treffen sie doch nicht völlig zu. Zum Beispiel vermisse ich meine Arbeit nicht. Nicht im Geringsten. Selbst jetzt kann ich es nicht glauben, wie viel Lebenszeit ich darauf vergeudet habe, über beheizbare Handtuchhalter zu schreiben. Endlose Zeilen. Über den Unterschied zwischen maulbeerfarbenem und lohfarbenem Leder. Über Hafermehl, Creme, Sandstein, Schiefer.
So lebten wir unser Leben.
Nach einem fürchterlichen Tag im Büro komme ich zur Tür herein und küsse meinen Mann, der nach einem Tag Arbeit und Babysitten völlig erschlagen ist. Dann nehme ich ihm Rebecca ab, wechsle ihre Windeln und trage Salbe auf die wunden Stellen auf, und darüber streite ich mit ihm oder über den leeren Kühlschrank oder den Abwasch, und irgendwie wird das Baby ins Bett gebracht, und um halb zehn, wenn es endlich eingeschlafen ist, gehe ich nach unten, bekomme ein großes Glas Wein und ziehe herzhaft über meinen Chef her, dann schaffe ich Ordnung und trinke ein bisschen zu viel und bleibe ein bisschen zu lange auf. Um halb zwölf räumt Tom seine Papiere vom Küchentisch und sagt: »Bleib nicht die ganze Nacht auf«, und nach einer Weile hänge ich das Spültuch über den Wasserhahn und gehe zu Bett. Ich weiß, wie unglücklich er ist. Es gibt keinen Zweifel daran, dass mein Mann unglücklich ist, aber auch voller Begeisterung für sein neues Geschäft, und sicher wird das Chaos nicht andauern. Andere Leute haben schließlich auch Kinder. Andere Väter fühlen sich nicht wie er dadurch entmannt – durch den Geldmangel und das Durcheinander und die Tatsache, dass hier kein Platz ist für seinen beträchtlichen Charme.
Ich sollte ihm mehr Platz einräumen für seinen beträchtlichen Charme. Ich lehne mein Gesicht an seinen Rücken und greife um ihn herum, um seinen weichen Schwanz in die Hand zu nehmen; ich habe ein bisschen zu viel Wein getrunken und glaube, dass er mich zutiefst hasst, weil ich an allem schuld bin.
Er dreht sich um, oder auch nicht.
Und in diesem Moment geht mir auf, dass er mit einer anderen schläft.
Nein. In diesem Moment fällt mir ein, wie sehr er mit einer anderen schlafen wollte, als ich diese andere war.
Eine Woche nach Liams Beerdigung betrachte ich den Körper meines Mannes. Im Schlaf. Am Leben. Ich will ihn ganz sehen. Es ist eine warme Nacht. Rasch schlage ich das Bettzeug zurück. Er regt sich und liegt dann wieder still.
Tom ist im Schlaf traurig. Er hat die Hände unterm Kinn vergraben, seine Beine sind unglaublich lang und kräftig, die Knie scheinen nicht so sehr angewinkelt als vielmehr gebrochen. Die Mulde unter seinem Brustkorb geht in einen kleinen, tief liegenden Schmerbauch über, und das Kissen seines Hodensacks ruht im V seiner Schenkel. Er ist sehr bleich.
Ich erinnere mich daran, wie ich diesen Körper physisch geliebt habe: die Haarwolke am Ansatz seines Penis, wenn ich von oben hinabsah, das kleine Dach seines Unterarms wie ein Mittelschiff ohne Kirche, wenn ich von unten hinaufsah. Das war in der ersten Zeit, als wir nicht genug voneinander bekommen konnten und er mit dem Finger über eine Reihe von Muttermalen auf meinem Körper strich und mich dabei so lange umwendete, bis ich ganz abgewickelt war und vom Bett auf den Fußboden fiel.
Ich erinnere mich an die Größe und die Geradheit seines Schlüsselbeins unter seinem Hemd, eines Nachts im Regen, ganz zu Beginn, als Sex sich so anfühlte, als gelte es, jemanden umzubringen oder sich umbringen zu lassen.
Da liegt er nun, in unserem Bett, noch immer am Leben. Luft dringt hinein, und Luft strömt heraus. Seine Zehennägel wachsen. Sein Haar wird schweigend grau.
Zuletzt berührt hatte ich ihn in der Nacht der Totenwache für Liam. Und ich weiß nicht, was seitdem mit mir nicht mehr stimmt, aber ich glaube einfach nicht mehr an den Körper meines Mannes.
12
Schlechte Neuigkeiten für Bea, meine Mutter und all die Aasgeier, die sich zur Totenwache in der Hausnummer 4 des Griffith Way versammeln werden – dass es nämlich wegen des Papierkrams noch mindestens weitere zehn Tage
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