Das Familientreffen
Keltologie oder was immer zu machen – wir verachteten diese Studiengänge, das College hatte sie doch nur eingerichtet, um an reiche Amerikaner heranzukommen. Und daher war ich überrascht, dass ich mich in Michael Weiss verliebte, überrascht auch, weil er kein hochgewachsener Amerikaner mit großen Prärieknochen war, sondern ein Typ von durchschnittlicher Körpergröße, der selbst gedrehte Zigaretten rauchte und mit einem Brooklyner Stein im Mund sprach, teils undeutlich, teils nachdenklich.
Es war sehr schön, mit ihm zu schlafen, die Art, wie er sich auf den Ellbogen stützte, um einen anzusehen und zu reden. Er liebte es zu reden, während er einen berührte, er liebte es sogar zu rauchen während dieses unendlich müßigen Vorspiels, das mir damals ganz fremd war. Ich war zwanzig Jahre alt, so ziellosen und unspezifischen Sex war ich nicht gewohnt, so nüchternen Sex war ich nicht gewohnt, und all das Gerede brachte mich in Verlegenheit. Ich glaubte, dass er keine Lust auf mich hätte. Ich sah, wie sich sein Gesicht bewegte, und wünschte mir, er würde endlich zur Sache kommen – zum aufregenden Teil, zu dem Teil, dessentwegen wir beide hier waren.
Ich glaube, auf seine ironische, langsame Art wusste Michael Weiss, dass er mich nicht würde halten können, und an jenen schläfrigen Nachmittagen tat er nichts anderes, als mir begütigend zuzureden, so wie man einer Katze auf einem Baum zuredet oder eine Stewardess den Fluggästen: »Sehen Sie den Hebel dort rechts? Bitte drücken Sie den He-bel auf fünfundvierzig Grad herunter.«
Und obwohl wir erstaunlich oft damit beschäftigt waren – Sex, meine ich -, kann ich mich nur noch an meine damalige Tollheit erinnern, als ich zusah, wie draußen vor seinem Fenster der Tag in Sprüngen und Flecken in Dämmerung überging. Vielleicht war es eine Sache der Adoleszenz: nackt auf dem Nylonteppich seiner Studentenbude zu stehen und das Gefühl zu haben, dieser Lichtwechsel sei ein Ding der Unmöglichkeit, so als würde mir meine Haut abgezogen, während der Tag in Zuckungen und Stößen der Dunkelheit wich.
Michaels Vater war Künstler, seine Mutter irgendetwas anderes. Auch das war ich nicht gewohnt – die meisten Eltern, die ich kannte, waren einfach nur Eltern -, er aber hatte diesen halb berühmten Vater und diese Mutter, die sich verabredete, sich mit Leuten traf und sich zum Ausgehen fein anzog, und das alles schleppte er mit sich herum. Es fiel ihm schwer, sich zu entscheiden, was er als Erwachsener machen würde, denn erwachsen, würde ich sagen, war er schon mit zehn. Er schrieb Gedichte, und vermutlich waren sie recht gut, aber die Vorstellung, er solle es zu etwas bringen, war ein Problem für ihn. Er hatte Geld – nicht viel, aber doch genügend -, und ich denke, schon damals hatte er beschlossen, einfach nur vor sich hin zu leben und abzuwarten, was sich für ihn ergeben würde.
So lebt er nun einfach vor sich hin, genau wie ich, obwohl vermutlich an einem interessanteren Ort als Booterstown, Dublin 4. Er lebt, sagen wir, in Manhattan oder in den Straßenschluchten von L. A. und bringt seinen Sohn zum Saxofonunterricht, besucht an einem Donnerstagnachmittag die Tanzdarbietung seiner Tochter und findet all das wichtig und unterhaltsam.
Ich bin zwei Jahre lang mit Michael Weiss gegangen, mit Unterbrechungen. Seine Trägheit hat mich zur Weißglut gebracht – sie verlieh mir das Gefühl, mein Leben auf unzulängliche Weise zu leben, ich war einfach zu begierig auf die Welt, die vor uns lag, in der es so viel zu tun gab. Ich war mir nicht sicher, was das war, aber allemal besser, als den ganzen Nachmittag nur herumzuhängen, sich zu küssen und zu rauchen und zu reden – ja worüber? Darüber, ob Dirk Bogarde tatsächlich gut aussah und wie man Jude sein konnte, oder auch nicht.
Jetzt verbringe ich meine Nachmittage natürlich nicht vor dem Fernseher, ich hatte also zweifellos recht damit, Michael Weiss zu misstrauen und ihn am Ende zu verlassen, für ein besseres, schnelleres Leben, für ein Leben, wie ich es jetzt führe: für einen Mann zu kochen, der nicht vor neun nach Hause kommt, und für zwei Mädchen, die bald auch nicht mehr nach Hause kommen werden. Alle Jubeljahre mal tränenverschmiert mit meinem mittelalten Mann zu schlafen, nicht zu wissen, ob ich ihn schlagen oder küssen soll.
Mach das Licht an, will ich sagen. Mach das Licht an.
Aber was mich auf den Gedanken bringt, dass ich Michael Weiss aus Brooklyn jetzt noch liebe,
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