Das Familientreffen
der sie ihre Ringe aufbewahrt hatte. Jemand anderes bekam die Ringe, natürlich – ich hatte da keine Chance. Kitty brauchte irgendwelche Dinge immer nötiger als man selbst, Bea hatte sie stets mehr verdient, während die arme Midge – nun ja, Midge weigerte sich immer, bis man sie dazu überredete, alles an sich zu reißen. So verließ ich das Haus unter enttäuschtem Gebrüll wegen all der Dinge, die man mir abgeschlagen hatte, dabei gab es überhaupt nichts, was ich wirklich gewollt hätte. Aus einer Laune heraus hatte ich Adas Musterbücher und Stofffetzen eingesteckt, aber bei Tageslicht besehen, erschienen sie mir so nutzlos, dass ich sie auf der Straße in einen Mülleimer stopfte. Ich wusste nicht, wie ich wollen konnte, was sie hinterlassen hatte. Ich wollte aus dem Haus hinaus, das war alles. Ich wollte ein größeres Leben.
Liam verpasste dies alles, denn nach dem Sommer, als wir nach London gegangen waren, um dort zu arbeiten, kam er nicht mehr nach Hause zurück. Oder besser gesagt, er tauchte ab und zu auf und besuchte ein paar Vorlesungen. Dann lief ich ihm in der Mensa oder in der Bar über den Weg, und immer hatte er eine andere Bleibe, und nach ein paar wilden Monaten war er verschwunden.
Es war sein letztes Jahr im College. An den meisten Abenden verpasste ich den letzten Bus und übernachtete bei Michael Weiss in seiner Studentenbude in Donnybrook: zwei hohe Räume mit einer Trennwand, die nicht bis zur Decke reichte, um die Toilette und einer anderen um die Kochnische herum. Die Tür zum Schlafzimmer fehlte, und vor der Wand stand ein riesiger alter Kleiderschrank. Zwischen diesen beiden großen Blöcken Dunkelheit – dem schwarzen Kleiderschrank und dem Rechteck des offenen Türrahmens, durch den meine Sinne entschwanden – schlief ich ein, der Sex zwischen meinen Schenkeln noch warm und schmerzend. Nirgendwo kam man zur Ruhe.
In jenem Jahr erzählte ich Michael Weiss Dinge, die ich seitdem nie wieder jemandem erzählt habe. Das war 1981. In Irland war noch nichts passiert – ist das komisch, so etwas zu sagen? In meinem Leben war noch nichts passiert, außer dem Bedürfnis, endlich wegzukommen. Ich nötigte Michael Weiss, Whiskey zu trinken – die Theatralik dieses Rituals -, ich nötigte ihn, einmal nur, mich im Zimmer und auf der Straße herumzuschubsen, damit ich von einer zugegebenermaßen geringen Überdosis Paracetamol herunterkam. Ich bescherte Michael Weiss eine wunderbare, eine schlimme Zeit, und ich fickte ihn zuschanden, dabei wollte er nichts weiter als sich auf einen Arm aufstützen, mein Gesicht betrachten und mich unter den Tisch reden.
Das Bild, das ich von diesen Nächten habe, ist das Bild einer Frau (ich), die mit gekrümmtem Rücken und offenem Mund auf einem Bett liegt und nach der Wand tastet. Kein Laut.
14
Ich denke an sie, wenn ich den Abwasch besorge. Natürlich habe ich eine Spülmaschine; wenn ich also jemals weinen muss, dann nicht still vor mich hin in den Spülstein wie Ada. Der Spülstein war ihr Ort dafür. Er ging nach hinten hinaus, vielleicht hatte es etwas mit den unendlich vielen Kartoffeln zu tun, die geschält werden mussten, oder mit der Armseligkeit des Gartens, aber wie vielleicht alle Frauen musste auch Ada gelegentlich leicht schniefen, und dann fielen, pling, pling, ein paar Tränen ins Spülwasser. Wie alle Frauen musste sich Ada die Nase manchmal mit dem Unterarm wischen, weil ihre Hände nass waren. Das ist nicht weiter erstaunlich. Obwohl ich sagen muss, dass ich eine Miele-Geschirrspülmaschine aus rostfreiem Stahl habe. Und wenn ich weinen muss, dann tue ich es mit Anstand vor dem Fernseher.
Das Leben war hart für meine Großmutter, heute weiß ich das. Das Überraschende jedoch war, dass sie die meiste Zeit eben nicht weinte, sondern einfach weitermachte.
Ada glaubte an sehr wenig. Sie glaubte an ein sauberes Haus. Aber sie glaubte nicht oder gab einem nie zu verstehen, dass einem, wenn man den Griebs aß, aus dem Bauchnabel ein Apfelbaum wuchs. Ich vermute nicht, dass sie an mein Bild vom »Waisenkind Ada Merriman« glauben würde; obwohl es rein sachlich stimmt, dass ihre Eltern starben, bevor sie erwachsen war. Ada hatte einfach keinen Sinn für so etwas. Sich Dinge vorzustellen oder auch nur in Erinnerung zu rufen hatte für sie etwas leicht Abgeschmacktes – wie Tratsch, nur noch schlimmer. Dieser Tage tue ich natürlich kaum etwas anderes. Und daran hat ganz allein sie Schuld. Denn wenn ich mich frage, wo meine
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