Das Familientreffen
siebzehn Jahre zu spät, ist nicht nur der Sex, oder der Sex, der mir in Erinnerung ist. Es ist die Art, wie er sich weigerte, mich in Besitz zu nehmen, sosehr ich auch versuchte, mich in Besitz nehmen zu lassen. Es war seine Art, mich nicht zu nehmen, sondern mir entgegenzukommen, und auch das immer nur auf halbem Wege.
Ich glaube, heute bin ich dazu bereit. Ich glaube, ich bin dazu bereit, dass man mir entgegenkommt.
Ich sitze am Tisch eines Straßencafés, vielleicht schon vor meinem fünften Latte macchiato, als ein paar amerikanische Jugendliche vorbeikommen, zwei Mädchen und ein Junge. Eines der Mädchen sagt: »That really sucks. Wisst ihr, was wirklich suckt? Was wirklich suckt, das sind diese Hosenschlitze mit Knöpfen, wenn du’n Knopf vergisst.« Und der Junge sagt: »Und du machst... so, weißt du?«, und er kreuzt die Handgelenke vor der Leistengegend, wie ein Bild des gegeißelten Christus.
So waren sie, die Amerikaner am College in Dublin – unverklemmt und ziemlich laut und interessant, wenigstens füreinander. Vielleicht waren wir ja alle so, obwohl zu unserer Zeit niemand unter kurzärmeligen T-Shirts langärmelige T-Shirts trug. Und ich weiß nicht, ob der Ausdruck »suck« damals groß in Mode war. Ich denke an die Handbewegung des Jungen und frage mich, warum das ein so furchtbares Wort ist. Wenn jemand suckt, dann ist er der schlimmste Typ, den man sich vorstellen kann. Ätzend. Ein Wort für alles und jedes, denke ich, ein Cliquenwort, für eine sehr intime Muskelbewegung – lutschen.
Das alles geht mir im Kopf herum, und es gelingt mir nicht, mich zusammenzureißen und wieder den Zug zum Flughafen zu besteigen, solange mein Bruder irgendwo in der Stadt hinter mir dekantiert und transportiert und balsamiert wird (der Whiskey dürfte dabei helfen). Ich gehe in ein paar Geschäfte und übe mich eine Weile in Normalität, und am Ende sitze ich, während die laute Welt an mir vorüberrauscht, reglos da, einen langen Kaffeelöffel im Mund, und lutsche.
13
Als ich aufs College ging, kam ich zu dem Schluss, dass Ada eine Prostituierte gewesen sein musste – einfach so. Es dürfte um die Zeit herum gewesen sein, als sie starb. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Theorie mit Michael Weiss besprach, dem sie sehr zusagte, obwohl er darauf hinwies, dass Ada genauso gut auch hätte Nonne sein können, was seiner Meinung nach so ziemlich dasselbe war, vermutlich weil er aus Brooklyn stammte.
Nun ja.
Michael Weiss war einer von denen, die ihren Tee an einem Tag mit Milch tranken und sich am nächsten dagegen entschieden, und im Lauf der Zeit hätte er mich damit zweifellos verrückt gemacht. Aber ich glaube, seine Bemerkung über Ada, oder über die Distanz zwischen mir und Ada, traf zu. Denn wenn ich den geheimnisvollen Umstand ihres Lebens betrachtete und mich für die eine Version entschied, die uns alles erklären würde, hätte ebenso gut auch ich aus Brooklyn sein können.
Ich glaube nicht, dass ich, als sie starb, bei der Überführung des Leichnams zugegen war – wahrscheinlich verbrachte ich den Abend in der Bar in Belfield -, und die Frage, wem das Haus gehören und wem das Geld zufallen werde, wenn man Adas Leichnam erst einmal fortgeschafft hätte, war mir vollkommen gleichgültig. Nicht jedoch diese Frage, die plötzlich im Raum stand: wer oder was sie gewesen war, das Waisenkind Ada Merriman.
Zur Beerdigung schaffte ich es gerade noch rechtzeitig. Da ist der Krauskopf meiner Mutter in der Reihe vor mir, auf einer Seite von ihr unser Vater, auf der anderen ihre Schwester, unsere Tante Rose. Es gab auch noch ein drittes Kind, einen Bruder namens Brendan, aber der war zu dieser Zeit wahrscheinlich schon tot, und so waren dies also die traurigen Überbleibsel von Adas Lebensglück: unsere ausgebrannte Mutter Maureen und Rose, die Kunstlehrerin, die sich in »interessante Tweedstoffe«, smaragdgrün und kobaltblau, kleidete. Die Hegarty-Geschwister hatten in der Reihe hinter ihnen Platz genommen, angeheiratete Verwandte und Kleinkinder waren auf weitere Kirchenbänke verteilt, und es ist gut möglich, dass wir sogar bei dieser Gelegenheit dem Alter nach aufgereiht dasaßen. »Wie die Orgelpfeifen«, pflegten die Leute zu sagen, obwohl die Orgel mittlerweile aus dem Leim gegangen war, Risse und Lücken aufwies und keine Pfeife mehr zur anderen passte. Als Erwachsene sahen wir alle wie Kuckuckskinder aus, jeder Einzelne von uns: Wir alle wirkten fehl am Platz.
Später stand ich
Weitere Kostenlose Bücher