Das Feenorakel
nett.» Das war zwar geschwindelt, schien aber großen Eindruck zu machen.
«Richard ist so süß!» Sie beugte sich vertraulich vor. «Er spricht nicht mit jedem! Manchmal veranstaltet er Partys, zu denen nur die schönsten Mädchen eingeladen werden ...»
Weil sie ahnte, worauf das Gespräch hinauslaufen würde, sagte Alva hastig: «Wenn ich davon hören sollte, kann ich dir gern Bescheid geben. Das ist natürlich keine Garantie, aber ...» Den Rest des Satzes ließ sie in der Luft hängen. Das Eis, auf das sie sich hier begab, war ziemlich dünn. Schließlich war sie nicht mit dem Clubbesitzer befreundet, sondern nur eine kleine Garderobiere.
Eine Falte erschien auf der Stirn der Verkäuferin, die sich aber sofort wieder glättete, als sie Alva nun genauer betrachtete. «Ja, das wäre großartig!»
Es war klar, dass sie nicht glaubte, jemand wie Alva würde zu solch einer exklusiven Veranstaltung eingeladen werden. Doch offenbar traute sie ihr einen gewissen Einfluss auf diesen Richard zu, da er sie ja immerhin persönlich empfangen hatte.
Alva zuckte mit den Schultern und stellte sich vor, wie hinter ihrer Stirn ein Computer sämtliche Maße aufnahm und alles speicherte, vom Halsumfang bis zur Schuhgröße. Doch dann begann das Vergnügen ...
Eine gute Stunde später schaute sie erschöpft in den Spiegel. Sie trug ein kurzes, schlauchförmiges Kleid, das sich wie eine zweite Haut anschmiegte und eher zum Blutdruckmessen geeignet zu sein schien als dazu, sich darin zu bewegen, geschweige denn zu arbeiten. Am U-Boot artigen Ausschnitt, der wenig Dekolleté, aber viel Schulter zeigte, war es zudem auch noch mit Federn besetzt. Sie kam sich vor wie ein frisch geschlüpftes Vögelchen, und ein leicht hysterisches Lachen wollte sich seinen Weg ihre Kehle hinaufbahnen. Während sie eine Feder, die sich beim Anziehen offenbar gelöst hatte, aus ihrem Haar zupfte, fiel ihr Blick auf eine makellose Schulter. Vorsichtshalber sah sie noch auf die andere Seite, obwohl sie sich genau daran erinnerte, dass der Kratzer links gewesen war. Doch er war einfach verschwunden. Sie drehte und wendete sich vor dem Spiegel, aber sie konnte nicht die geringste Verletzung entdecken. Stattdessen sah sie plötzlich ihn , wie er sich über sie beugte … Rasch schüttelte sie die Erinnerung ab.
«Und, gefällt es dir?», rief die Verkäuferin und konnte kaum ein Lachen verbergen, als sie Alvas verwirrten Gesichtsausdruck sah. «Du hast recht. Das ist nicht dein Stil. Ich fürchte aber, das war jetzt alles, was wir in Grau dahaben.»
Alva schlängelte sich aus dem Kleid, zog eine weitere Feder aus ihrem Mund und schaffte es, dabei sogar ein bisschen verlegen auszusehen. Sie hatte die Geduld der Verkäuferin lange genug strapaziert und würde sich jetzt entscheiden müssen. Nicht ganz einfach, denn ihr hatten viele Sachen gefallen. Schließlich kaufte sie zwei Shirts, eine Jeans, die sie sowieso dringend brauchte, und ein anthrazitfarbenes schlichtes Kleid. Es war ärmellos, endete eine Handbreit überm Knie und passte in einer Vollendung, als wäre es für sie geschneidert worden. Und das Beste: Obwohl es schmal geschnitten war, konnte sie sich darin bestens bewegen.
«Eine gute Wahl! Dieses Modell kann man vielseitig kombinieren», bekräftigte die Verkäuferin ihre Meinung. «Wir hätten es auch noch in anderen Farben da ...»
«Lieber nicht!» Das Kleid stammte von einer jungen Designerin und riss ein riesiges Loch in ihr Budget.
An der Kasse bekam sie als Trostpflaster noch ein Tuch in blassem Taubengrau geschenkt. «Du kannst es dir ins Haar binden, um den Hals tragen oder sogar als Gürtel», sagte ihre neue Stylistin mit einem Blick auf Alvas schmale Taille.
«Vielen Dank! Damit kann niemand sagen, ich würde mich nicht an die Kleidungsvorschriften halten.»
«Empfehlen Sie uns weiter!» Sie zwinkerte Alva zu, bevor sie sich der nächsten Kundin widmete.
Noch nie hatte Alva das Shoppen ähnlich viel Spaß gemacht. Auf dem Heimweg gönnte sie sich noch eine Stippvisite in ihrem Lieblingsdrogeriemarkt. Bevor sie die Kosmetikabteilung erreicht hatte, fiel ihr Blick auf die Tabletten, die bisher recht gut gegen ihre weißen Träume geholfen hatten und ihr an deren Stelle in der richtigen Dosierung erotische Begegnungen vorgaukelten. Nach kurzem Zögern nahm sie ein Glas aus dem Regal, immerhin war doch alles rein pflanzlich, schädlich dürfte es also nicht sein. Ihre innere Stimme, die ganz anderer Meinung war, ignorierte sie
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