Das Feenorakel
konnte.
Alva sah in den langen Spiegel ihres kleinen Zimmers und schüttelte den Kopf. Vergeblich versuchte sie herauszufinden, warum ihre Begegnung ausgerechnet in dieser fremden, spartanischen Wohnung stattgefunden hatte. Ein Kichern bahnte sich seinen Weg, als sie an den zersplitternden Tisch dachte. Wie kraftvoll er sie aufgefangen und danach behutsam auf das viel zu schmale Bett gelegt hatte!
Mit zitternden Fingern berührte sie ihre geschwollenen Lippen, die sich anfühlten, als seien sie tatsächlich geküsst worden. Niemals hätte sie geglaubt, eine solche Befriedigung erleben zu können wie mit ihm. Nicht an nur einen Orgasmus erinnerte sie sich, jeder einzelne hatte sie glauben lassen, ihre Welt würde in einem neuen Urknall auseinanderbrechen. Ganz zu schweigen von den kleinen Highlights zwischendurch. Und wie auch er sich unter ihren Berührungen gewunden hatte, bis sie ihm, zufrieden darüber, ihre Macht demonstriert zu haben, endlich erlaubt hatte, sie zu besitzen, wie es ihm beliebte! Sie hatte Tricks angewandt, die sie aus zahllosen Romanen kannte, ohne jemals zu glauben, dass ein Mann tatsächlich derart leidenschaftlich darauf reagieren würde.
Alva kicherte, hob die Arme über den Kopf und drehte sich vor dem Spiegel. Ihr Körper war erschöpft, aber befriedigt. Doch als sie sich wenig später zwischen die Laken ihres kaum benutzten Bettes gleiten ließ, ahnte sie, dass in den vergangenen Stunden ein Drache in ihrem Inneren geweckt worden war, der schon bald wieder seinen lüsternen Blick auf sie richten würde, um sie mit einem höllischen Feuer zu verzehren, wenn sie sein Begehren nicht befriedigte.
Wohlig drehte sie sich zur Seite und erstarrte: Ein Taschentuch lag auf ihrem Kissen. So gebügelt und säuberlich gefaltet, wie es war, gehörte es ganz gewiss nicht ihr. Als sie den Stoff zwischen den Fingerspitzen rieb, schien es, als sei er plötzlich wieder bei ihr. Eingehüllt von seinem Duft nach Meer, würzigem Moos und Mann schlief sie endlich ein.
Während sie nach dem nächsten Aufwachen den Rest des Nachmittags damit verbrachte, ihre Tasche und auch die Kartons, die ihre Stiefmutter ihr geschickt hatte, auszupacken, begegnete ihr immer wieder dieses verträumte Lächeln, sobald sie am Spiegel vorbeiging. Das Erstaunliche war, dass sich auch ihr Körper anfühlte, als hätte sie Sex gehabt – ausgiebigen und äußerst befriedigenden Sex. Zumindest nahm sie an, dass eine Frau sich ähnlich fühlen würde. Irgendwie schwer, ein bisschen matt, aber dennoch voller Energie und Lebenslust. Ihre kurze Begegnung mit Tom war nicht annähernd so aufregend gewesen wie die Dinge, die sie in diesem Traum getan hatte. Darüber hinaus besaß sie keine nennenswerte Erfahrung in Sachen Erotik.
Was war das nur für ein Traum gewesen? Weil sie keine vernünftige Antwort auf diese Frage fand, stürzte sie sich in die Arbeit. So gut es ging hatte sie das von Chris geliehene graue Kleid geflickt, gewaschen und gebügelt. Danach fühlte sie sich von diesen recht ungewöhnlichen Tätigkeiten zusätzlich erschöpft und sehnte sich nach einer Belohnung. Da sie außer einem verwaschenen Shirt nichts Graues besaß, würde sie sich wohl oder übel für ihren neuen Job auch neue Klamotten kaufen müssen. Dieser Gedanke brachte ihre Energie sofort zurück, obwohl die etwas abrupte Umstellung auf den ungewohnten Tagesablauf sie regelmäßig gähnen ließ. Das Geschäft, in dem sie den fantastischen Friseur entdeckt hatte, war jetzt genau die richtige Adresse.
Wenig später fühlte sie sich wie eine Diva. Rundherum stapelten sich Kleider, Hemden und Jeans, und es fiel ihr schwer, nicht alles zur Kasse zu tragen. Das heißt, so schwer fiel es ihr auch wieder nicht, denn vermutlich hätte selbst der Scheck ihres Vaters nicht ausgereicht, die Rechnung dafür zu begleichen.
Die Verkäuferin war anfangs etwas reserviert gewesen, was Alva begreiflich fand, sobald sie die Preise gesehen hatte. Verkäuferinnen hatten einen Blick für Leute wie sie, die stundenlang herumlungerten, um dann bestenfalls ein heruntergesetztes Accessoire zu kaufen. Aber dann hatte Alva ihr erzählt, wofür sie die neue Kleidung benötigte, und danach war sie wie ausgewechselt.
«Im Amnesia ? Wie hast du das nur gemacht? Es ist unglaublich schwierig, dort einen Job zu bekommen. Bist du dem Besitzer begegnet?»
«Ja, beim Vorstellungsgespräch.» Überrascht, wie aufgeregt die Frau plötzlich wurde, ergänzte sie noch: «Ich fand ihn ziemlich
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