Das Feenorakel
Schirme an der Garderobe ab. Sogar schlammverkrustete Gummistiefel musste sie entgegennehmen. Die nächsten zwei Stunden vergingen wie im Flug und sie hatte wenig Zeit über die Ereignisse des frühen Abends nachzudenken. Gegen Mitternacht kam Cathy und bot an, sie für eine kurze Pause abzulösen. Alva versuchte, sich für ihre Verspätung zu entschuldigen, doch Cathy winkte ab. «Kein Problem.» Sie nahm die Schirme von zwei Mädels entgegen und Alva wollte sich schon umdrehen, da fragte sie: «War das dein Freund?»
Alva schnitt eine Grimasse. Wie sollte sie erklären, was sie selbst nicht verstand? Schließlich zuckte sie mit der Schulter und gestattete sich ein Lächeln. «Mein Traummann.» Damit hatte sie zwar nicht gelogen, aber Cathys Reaktion nach zu urteilen, eindeutig einen missverständlichen Eindruck erweckt. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie genau dies beabsichtigt.
Zufrieden, ihre neue Kollegin beeindruckt zu haben, aber auch mit einer Spur schlechten Gewissens wegen der Hochstapelei ging sie in den Club hinein, um sich an der Bar ein Getränk zu holen.
Julen hätte sich dafür ohrfeigen können, dass es ihm nicht gelungen war, auch nur einen seiner guten Vorsätze einzuhalten. Zu allererst war es natürlich unverzeihlich gewesen, sich seinem Schützling ausgerechnet in ihrem Schlafzimmer zu zeigen.
Wobei ihm nicht ganz klar war, wieso Alva ihn bemerkt hatte. Er hatte nicht geglaubt, dass es ein Problem sein würde, sich während der sintflutartigen Regenfälle für ein paar Minuten in ihrem Zimmer unterzustellen. Gut, es war ein bisschen mehr gewesen. Er hatte es einfach genossen von ihrem Duft umgeben einen Augenblick in ihrer Nähe zu verweilen.
Solange sie ihn für eine Traumgestalt gehalten hatte, war sein Leichtsinn auch kein großes Problem gewesen. Aber nein, er musste sich in ihren Streit mit Tom einmischen. Der Mann hatte nach Alkohol und Drogen gestunken, versuchte er sein Eingreifen vor sich selbst zu rechtfertigen.
Nun war an eine unauffällige Überwachung natürlich nicht mehr zu denken. Julen war nicht entgangen, wie sich ihr Pulsschlag bei seinem Auftauchen beschleunigt hatte. Sie erinnerte sich sehr gut an das erotische Treffen in ihren Träumen, las er in ihren Gedanken, und auch er hatte keine Berührung, keinen Kuss vergessen. Während des kurzen Weges zum Club hatte ihn Alvas Nähe in eine gefährliche Euphorie versetzt.
Aber was geschehen war, war geschehen. Er hätte sie natürlich alles vergessen lassen können, doch das war nach dem Auftauchen von Richards Assistentin nicht mehr sinnvoll. Cathy würde er nicht manipulieren können, ohne Richard zu verärgern. Zudem sträubte sich alles in ihm, in Alvas Gedächtnis einzugreifen. Zu süß war die Erinnerung an das gemeinsam Erlebte. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als den selbst angerichteten Schaden möglichst einzudämmen und sie vor den anderen Vampiren als sein Eigentum auszugeben. Damit stand sie unter seinem Schutz und niemand würde es wagen, ihr auch nur ein Haar zu krümmen. Vielleicht war das ohnehin besser angesichts der Vorgänge, die er vor seiner unerfreulichen Begegnung mit Alvas Bruder beobachtet hatte. Er wusste nicht, was ihn wütender machte: dass Tom mit ihr geschlafen oder dass er versucht hatte, sie zu schlagen.
Nachdem die Blondine aus dem Proberaum gerannt war, hatte Julen einen Blick in ihre Gedanken getan und war geschockt gewesen zu erfahren, dass seine behütete junge Fee mit ihrem eigenen Bruder ins Bett gestiegen war. Später war ihm zwar wieder eingefallen, dass die beiden nicht blutsverwandt waren, dennoch hatte ihm die Eifersucht auf eine Weise zugesetzt, dass er, um Abstand zu gewinnen, einen Ausflug ins nahe gelegene Rotlichtviertel der Stadt unternommen hatte, um bei einem Blutjunkie die Entspannung zu finden, die ein Vampir nur erlebte, wenn er unmittelbar aus der Quelle trank. Auf weitere Dienste verzichtete er, was nicht immer der Fall war, wenn er zu einer Hure ging. Weil er ihre Enttäuschung spüren konnte, hatte er sie großzügig entlohnt und war mit einem schlechten Gewissen wieder zum Übungsraum zurückgekehrt, wo er seinen Ohren nicht zu trauen glaubte. Ist das Alva, die dort singt? , hatte er sich gefragt und war beinahe in Panik geraten. Doch da war sie schon verstummt und dann hatte er sie vor ihrem unangenehmen Bruder retten müssen. Zurück blieben eine ungute Vorahnung und die nun keineswegs mehr nur professionelle Sorge um ihre Sicherheit.
Richards
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