Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
Vom Netzwerk:
blieb etwa eine halbe Stunde
draußen. Einmal hab ich ganz in der Nähe ein lautes Krachen gehört, aber dann
war wieder alles ruhig, und ich hab auch nicht nachgeschaut, was war. Kurz
danach kam Stephen — Mr. Archer — auf einen Sprung vorbei. Das tat er seit
einigen Wochen öfter; er und Harry haben bei ein paar Drinks Neuigkeiten
ausgetauscht, so wie Männer das eben tun.
    Ich bin also zum Hinterausgang und
wollte Harry Bescheid sagen. Ich sah seine Taschenlampe, die am Boden lag, aber
er antwortete mir nicht. Als wir hinausgingen, sahen wir ihn auf der Erde
liegen, er krümmte sich und konnte nicht sprechen. Er verdrehte die Augen und
schien sich in Krämpfen zu winden. Stephen und ich haben ihn hineingetragen,
und ich hab den Arzt angerufen, aber als der kam, war Harry schon tot. Der Arzt
meinte, es sei eine Darmkolik gewesen und ein plötzlicher Herzanfall, ausgelöst
vielleicht durch das Krachen, das ich schon erwähnte .«
    Er sah sie zweifelnd an. »Ich bin
ziemlich sicher, daß das ›Krachen‹ damit zu tun hatte. Und Sie sagen, der
Leichenbeschauer habe lediglich von einer Darmkolik gesprochen, hat er das in
seinem Bericht als Ursache bezeichnet? Damit werden sich noch andere staatliche
Organe befassen müssen .«
    »Warum ?« stieß
sie hervor.
    Er redete weiter, als hätte er ihre
Frage nicht gehört. »Sie sagen, Archer war der Vertreter, bei dem Mead seine
Lebensversicherung abgeschlossen hat? Natürlich zu Ihren Gunsten?«
    »Ja.«
    »War die Versicherungssumme hoch ?«
    »Müssen Sie das alles für einen
Zeitungsartikel wissen? Sie sind kein Reporter und waren auch nie einer, Mr.
Westcott! Eine Zeitung namens Bulletin existiert gar nicht. Sie sind von
der Polizei !« Ihre Stimme kippte über. »Warum fragen
Sie mich all das ?«
    »Ich werde es Ihnen sagen, wenn ich
wiederkomme. Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich muß eben mal
telefonieren. Bleiben Sie bitte sitzen, Mrs. Archer .«
    Er ließ sie nicht aus den Augen, als er
am Wandtelefon auf der anderen Seite des Raumes stand, eine Nummer wählte und
ein paar kurze Fragen stellte. Sie war offensichtlich etwas verwirrt, starrte
besorgt auf den Tisch und fuhr sich ab und zu mit der Zunge über die Lippen.
    Als er sich wieder zu ihr setzte,
stellte sie die Frage noch einmal: »Was wollen Sie von mir? Warum fragen Sie
mich über Harrys Tod aus ?«
    »Weil mir vorhin, als ich vor der
Leiche Ihres früheren Mannes stand, auffiel, daß die Haut am Kopf aufgeplatzt
war, wie von einem Schlag. Ich habe den Leichenbeschauer angerufen; sie haben
es sich sofort angesehen, und man hat mir gesagt, daß es sich um eine
Schädelfraktur handelt !«
    Ihr Gesicht verfärbte sich, wurde gespenstisch
grau. Bis gerade eben hatte er noch gar nicht bemerkt, daß ihre Haut an
Gesicht, Hals und Armen eine leichte, gleichmäßige goldbraune Tönung aufwies.
Jetzt, wo sie darunter erblaßte, fiel es ihm auf. Sie mußte sich mit beiden
Händen am Tisch festhalten. Er streckte die Hand vor, um ihr behilflich zu
sein, doch das war nicht nötig. Er reichte ihr ein Glas Wasser. Sie nippte kaum
daran und holte dann tief Luft.
    »Also war das Harrys Sarg, den sie da
im Dunkeln an uns vorbeigetragen haben ?«
    Er nickte und blätterte in den
Aufzeichnungen, die er von dem Gespräch gemacht hatte. »Lassen Sie mich das
Ganze nochmal zusammenfassen !« Aber während er sprach,
waren seine Augen nicht auf die ›Notizen‹ gerichtet, sondern bohrten sich in
ihr gequältes Gesicht.
    »Harry Mead hat bei Stephen Archer eine
sehr hohe Lebensversicherung abgeschlossen, zu Ihren Gunsten. Die beiden
freundeten sich an, und Archer kam ab und zu abends bei Ihnen vorbei und
plauderte mit ihm.
    Am Abend seines Todes ging Mead im
Dunkeln in den Garten. Sie hörten ein lautes Geräusch. Kurz danach kam Archer
zur Haustür herein. Als Sie Ihren Mann riefen, lag der schon im Sterben. Ein
Hausarzt und auch der Leichenbeschauer diagnostizierten eine Darmkolik. Die
Finanzen und die Berufsethik dieser beiden Herren werden noch zu prüfen sein — aber
das interessiert mich im Moment nicht weiter; mich interessiert das Ganze nur
bis zum Tod Ihres Mannes. Das ist meine Aufgabe. Also, ist es so gewesen ?«
    Ihre Antwort ließ so lange auf sich
warten, daß es schon aussah, als würde sie überhaupt nicht mehr kommen, doch er
wartete geduldig. Und schließlich sprach sie, mit dem gelassenen, starren
Gesichtsausdruck einer Frau, die eine Entscheidung von großer Tragweite gefällt
hat und alle

Weitere Kostenlose Bücher