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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Brett
unter seinem Gewicht durchbrechen könnte; dessen Tragkraft hatte er vorher, auf
dem Dach, einige Male getestet. Er ging in die Knie, hielt sich mit den Händen
an den Rändern fest und begann, auf allen Vieren hinüberzukriechen. Es war
keine große Entfernung, und er bemühte sich, nicht hinunterzuschauen, hielt den
Blick unverwandt auf das Fenster direkt vor sich gerichtet. Das Brett war ein
wenig geneigt, aber nicht so sehr, daß es ihn gestört hätte. Er achtete darauf,
es so genau wie möglich in der Mitte zu belasten, damit es nicht kippte. Er
hatte wirklich an alles gedacht — es konnte nichts schiefgehen. Das Fenster kam
immer näher, bis schließlich seine Nasenspitze die kalte Scheibe berührte. Er
packte die untere Leiste des Rahmens und schob die Scheibe ganz hoch, um sich
dann unter ihr hindurch ins Zimmer zu schieben. Es war ein Kinderspiel gewesen!
    Als er drin war, zog er als erstes die
Scheibe wieder auf die vorherige Flöhe herunter und
schob das Brett ein Stück zurück, damit es den Vorhang nicht ausbeulte, sondern
ihn glatt herunterhängen ließ. Er brauchte kein Licht anzumachen, da er sich
von seinem Aussichtspunkt auf dem Dach gegenüber aus genau eingeprägt hatte, wo
die einzelnen Möbelstücke standen. Er öffnete die Schranktür und schob die
Kleider ein wenig zur Seite, um Platz für sich zu schaffen. Dann zog er den
Achtunddreißiger aus dem Schulterhalfter, ging hinüber zur Zimmertür und
lauschte. Kein Ton drang von draußen herein. Er griff in die Manteltasche und
zog eine große rohe Kartoffel heraus, durch die er ein kleines Loch gebohrt
hatte. Die steckte er als Schalldämpfer auf den Lauf seines Revolvers, so fest,
daß sie nicht herunterfallen konnte. Dann setzte er sich, im Dunkeln, die Waffe
in der Hand, auf einen Stuhl und starrte eine Weile hinüber zur Tür.
    Nach etwa fünfzehn Minuten wurde in
einiger Entfernung die Aufzugtür aufgestoßen. Er stand sofort auf, ging in den
Schrank und zog die Tür zu, ließ sie nur einen Spalt weit auf, gerade weit
genug, um mit einem Auge hinauslugen zu können. Das schiefe Lächeln erschien
wieder auf seinem Gesicht. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Die Tür ging
auf, und ein menschlicher Umriß zeichnete sich schwarz vor dem erleuchteten
Flur ab. Die Tür schloß sich wieder, und im Zimmer ging Licht an.
    Für den Bruchteil einer Sekunde war das
Gesicht, das sich gerade herumdrehte, durch den Spalt vor Brains Augen zu
sehen, und er nickte triumphierend; es war der richtige Kerl im richtigen
Zimmer, und auch die letzte — wenn auch unwahrscheinliche — Möglichkeit, daß
sein Plan fehlschlagen konnte, bestand nicht mehr — er war allein nach Hause
gekommen.
    Dann verschwand das Gesicht aus seinem
Blickfeld. Der Schlüssel fiel klirrend auf die Glasplatte der Kommode, er sah
einen Streifen eines schwarzen Mantels über das weiße Bett fallen, und nach
einem Klicken begann ein winziges Radio mit leisem Brummen warmzulaufen. Der
Kerl gähnte einmal laut und ging ein wenig im Zimmer umher, ohne daß Brains
etwas sehen konnte. Er stand da, den Revolver mit dem improvisierten
Schalldämpfer in der Hand, und wartete.
    Als es passierte, ging es so schnell
wie das Aufleuchten eines Blitzlichts. Plötzlich war die Schranktür weit offen,
und sie starrten einander ins Gesicht, keine zwanzig Zentimeter voneinander
entfernt. Der andere hatte die Linke noch am Türgriff, mit der Rechten hielt er
den Mantel, um ihn in den Schrank zu hängen. Den ließ er zunächst mal fallen.
Brains hielt den Revolver bereits in der richtigen Höhe, brauchte ihn gar nicht
mehr lange auf ihn zu richten. Die Gesichtsfarbe seines Gegenübers wechselte
von rosa über weiß zu grau, das Fleisch schien sich von den Knochen zu lösen,
als gallertartige Masse vom Schädel abzufallen. Er setzte, ganz langsam, einen
Fuß nach hinten, um nicht auf den Rücken zu fallen, und Brains folgte ihm mit
einem ebenso langsamen Schritt, trat aus dem Schrank. Ohne hinzusehen stieß er
den Mantel des anderen beiseite.
    »So, Hitch«, begann er mit sanfter
Stimme. »Auf den ersten drei ist dein Name eingeritzt. Mach die Augen zu, wenn
du willst .«
    Hitch wollte nicht; ganz im Gegenteil,
seine Augen wurden groß und rund, zwei hartgekochte Eier ohne Schale. Eine
volle Minute lang bewegte er Mund und Zunge, ohne einen Laut über die Lippen zu
bringen. Schließlich formten sich zwei Worte: »Und warum ?«
    Brains hörte sie nur deshalb, weil er
so dicht vor ihm stand.
    »Dreh

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