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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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ans Telefon gehen und
die Polizei rufen sollen, gleich hier, wo er sich jetzt mit Paine zusammen
befand, aber er war rachsüchtig und wollte die Situation noch ein wenig
auskosten.
    »Du weißt ja, was dir dafür blüht, oder ?« fuhr er fort und leckte sich die schmalen Lippen. »Und
ich werde dafür sorgen, daß du’s auch kriegst, daß du jeden einzelnen Monat
absitzt, den sie dir aufbrummen .« Er trat einen
Schritt vor. »Jetzt geh da weg, stell dich da hinten hin, und wehe, du machst
eine falsche Bewegung, ehe ich...«
    Plötzlich trat ein aufkeimender
Verdacht in seine funkelnden kleinen Augen. »Moment mal. Hab ich dich nicht
schon mal irgendwo gesehen? Du kommst mir irgendwie bekannt vor .« Er ging noch ein Stück auf Paine zu. »Nimm das Tuch ab !« befahl er. »Zeig, wer zum Teufel du bist !«
    Der Gedanke, sein Gesicht zu zeigen,
versetzte Paine in Schrecken. Er dachte nicht daran, daß Burroughs, solange er
den Revolver auf ihn richtete und ihm damit jede Fluchtmöglichkeit nahm, früher
oder später sowieso herausbekommen würde, wer er war.
    In heller Panik schüttelte er den Kopf.
    »Nein«, stieß er keuchend hervor, und
das Taschentuch plusterte sich vor seinem Mund auf. Er versuchte sogar,
zurückzuweichen, aber ein Stuhl oder ein anderes Möbelstück stand ihm im Weg
und verhinderte seinen Rückzug.
    Jetzt trat der Alte noch näher an ihn
heran. »Ja, Himmel, dann mach ich’s eben für dich !« bellte er. Er streckte die Hand aus, um nach der unteren Spitze des Dreiecks zu
greifen. Dabei bewegte er seine rechte Hand ein wenig zur Seite, so daß der
Revolver nicht mehr genau auf Paines Körper zielte. Aber nicht weit genug, daß
der es hätte ausnutzen können.
    Feigheit. Feigheit, die einen in eine
Unbesonnenheit hineintreibt, vor der der waghalsigste Mut zurückschrecken
würde. Paine dachte keinen Moment lang an die Waffe. Plötzlich packte er den
Alten an beiden Armen und spreizte sie auseinander. Seine Chance war so
lächerlich gering, daß Burroughs mit diesem Angriff absolut nicht gerechnet
hatte, und deshalb funktionierte es. Der gegen die Decke gerichtete Revolver
klickte vergeblich; vielleicht hatte er eine Ladehemmung, oder die erste Kammer
war leer und Burroughs hatte es nicht gewußt.
    Paine hielt Burroughs’ rechten Arm weit
von sich. Doch seine Hauptsorge galt der linken, freien Hand, die nach dem
Taschentuch greifen wollte. Die drückte er weit nach unten, so daß sie das Tuch
nicht erreichen konnte. Dann verdrehte er die runzlige Haut um das dünne rechte
Handgelenk des Alten so sehr, daß der vor Schmerz die Hand öffnete und den
Revolver fallenließ. Er polterte zwischen ihnen zu Boden, und Paine schubste
ihn mit dem Fuß ein Stück weg.
    Dann stellte er mit demselben Fuß
Burroughs ein Bein und stieß ihn darüber. Der alte Mann fiel der Länge nach
rücklings zu Boden, und damit war der kurze, ungleiche Kampf beendet. Doch noch
im Fallen war er siegreich. Er hatte die nach unten gedrückte linke Hand in dem
Moment, als Paine sie losließ, um ihn umzustoßen, in weitem Bogen nach oben
gestreckt, das Taschentuch ergriffen und es ihm vom Gesicht gerissen.
    Jetzt lag er da, auf einen Ellbogen
gestützt, und stieß keuchend die unheilvollen Worte aus, die Paine wie ein
Messer ins Herz trafen: »Du bist Dick Paine, du elender Lump ¡Jetzt kenn ich
dich! Du bist Dick Paine, mein ehemaliger Angestellter! Dafür wirst du
bezahlen...«
    Er hatte keine Zeit mehr, noch etwas zu
sagen. Er hatte sein eigenes Todesurteil verkündet. Paine agierte jetzt nur
noch reflektorisch, handelte unter dem Einfluß seines Selbsterhaltungstriebs so
automatisch, daß ihm gar nicht bewußt war, wie er sich hinunterbeugte und den
Revolver aufhob. Dann hielt er ihn in der Hand und zielte auf den anklagenden
Mund, vor dem er am meisten Angst hatte.
    Er drückte den Abzug. Zum zweiten Mal
klickte es — entweder wieder eine Ladehemmung, oder auch die zweite Kammer war
leer. Dieses Klicken sollte später auf seinem Gewissen lasten — es war wie eine
letzte Chance, doch noch von seinem Vorhaben abzulassen. Denn es war ein
Einschnitt; die vage Entschuldigung, die er bis dahin gehabt hätte, war nun wie
weggewischt — jetzt war es keine impulsive Handlung mehr, aus der Hitze des
Gefechts heraus, sondern ein kaltblütiger, vorsätzlicher Mord, vor dem er
genügend Zeit gehabt hatte, es sich noch einmal zu überlegen. Das Gewissen
macht Feiglinge aus uns allen. Und Paine war ohnehin ein Feigling.
    Burroughs

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