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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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hatte sogar noch Zeit, die
ersten Worte einer verzweifelten Bitte um Gnade hervorzustottern, ein
Versprechen, ihn nicht anzuzeigen. Aber wahrscheinlich hätte er es eh nicht
gehalten.
    »Nein! Paine — Dick, tu’s nicht! Ich
werd kein Wort sagen! Ich werde ihnen nicht sagen, daß du hier warst !«
    Aber Burroughs hatte ihn erkannt. Paine
zog am Abzug, und diesmal war die Ladung todbringend. Diesmal knallte der
Revolver los, und Burroughs’ ganzes Gesicht war in eine Rauchwolke gehüllt. Als
sie sich verzog, war er schon tot, sein Kopf lag am Boden, und eine dünne Blutspur
sickerte ihm aus dem Mundwinkel, als hätte er sich lediglich die Lippen
aufgerissen.
    Paine blieb bis zum bitteren Ende ein
Amateur. In der Todesstille, die nun folgte, war sein erster, halbwegs
verständlicher Satzfetzen: »Mr. Burroughs, ich wollte Sie doch nicht...«
    Dann starrte er leichenblaß, voller
Bestürzung auf den Toten. »Jetzt hab ich’s getan! Ichhab einen Menschen getötet
- und darauf steht die Todesstrafe! Jetzt bin ich dran !«
    Entsetzt schaute er auf die Waffe, als
sei sie allein und nicht er selbst an dem schuld, was geschehen war. Er hob das
Taschentuch auf und rieb benommen am Revolver herum, ließ dann wieder davon ab.
Es erschien ihm sicherer, ihn einzustecken, obwohl es der von Burroughs war. Er
hatte die irrationale Angst eines Amateurs vor Fingerabdrücken. Er war sicher,
daß er den Revolver nicht so sauberreiben konnte, daß von seinen Abdrücken
keine Spur mehr daran zurückblieb; selbst beim Abwischen konnte er immer wieder
neue hinterlassen. Er steckte die Waffe in die Innentasche seines Mantels.
    Dann sah er sich um. Bloß weg hier;
nichts wie weg von hier. Schon jetzt hörte er die Trommeln der Flucht in sich
schlagen, und er wußte, sie würden nie wieder verstummen.
    Die Geldkassette stand immer noch auf
dem Tisch, dort, wo er sie hingestellt hatte; er ging hin und öffnete sie.
Dieses Geld wollte er jetzt nicht mehr haben, es war schmutziges Geld, Blut
klebte daran. Aber er brauchte zumindest ein wenig davon: Es würde ihm dabei
helfen, sich nicht so schnell erwischen zu lassen. Er hielt sich nicht damit
auf, zu zählen, wieviel darin war; es mußten wohl mindestens tausend Dollar
sein. Vielleicht sogar fünfzehn- oder achtzehnhundert.
    Er würde keinen Cent mehr nehmen als
ihm zustand. Er würde nur die zweihundertfünfzig Dollar nehmen, derentwegen er
gekommen war. Von Angst geschüttelt, dachte er, es mache das Verbrechen weniger
abscheulich, wenn er sich damit begnügte, seinen rechtmäßigen Anteil zu nehmen.
So schien es kein richtiger Raubmord mehr, sondern er konnte sich vormachen, er
habe nur seine Schulden eingetrieben, wobei es zu einem schrecklichen, aber
nicht vorhersehbaren Unfall gekommen war. Und das eigene Gewissen ist
schließlich der unnachsichtigste Polizist.
    Und obendrein, das wurde ihm klar, als
er das Geld in seine Gesäßtasche steckte und sie zuknöpfte, konnte er seiner
Frau nicht sagen, daß er hier gewesen war — sonst wüßte sie, was er getan
hatte. Er mußte so tun, als habe er das Geld anderswoher bekommen. So schwer
konnte das nicht sein. Er hatte es immer wieder verschoben, hierher zu
Burroughs zu gehen, er hatte ihr deutlich gezeigt, daß ihm der Gedanke nicht
behagte, seinen ehemaligen Chef anzusprechen; sie war es, die ihn immer wieder
aufgestachelt hatte.
    Noch heute abend hatte sie gesagt: »Ich
glaub’ nicht, daß du es jemals tust. Ich hab’ die Hoffnung praktisch aufgegeben .«
    Es war also das Einfachste, so zu tun,
als sei er doch nicht hingegangen. Er würde sich eine andere Erklärung
überlegen, wo das Geld herkam, das mußte er. Wenn nicht gleich heute abend,
dann morgen früh. Es würde ihm schon etwas einfallen, wenn der Schock einmal
abgeklungen war und er wieder klarer denken konnte.
    Hatte er irgend etwas liegenlassen, das
ihn verraten würde, das die Spur auf ihn lenken könnte? Er sollte die
Geldkassette zurückstellen; immerhin bestand die Möglichkeit, daß sie nicht
genau wußten, wieviel der alte Geizkragen darin aufbewahrt hatte. Das war bei
so jemandem durchaus denkbar. Vorsichtig rieb er sie mit dem Taschentuch, das
er sich um das Gesicht gebunden hatte, ab, verdrehte dann das Zahlenschloß und
tupfte daran herum. Er trat nicht mehr ans Fenster, sondern löschte das Licht
und ging durch die Haustür hinaus.
    Er öffnete die Tür mit dem um die Hand
gewickelten Taschentuch und zog sie hinter sich zu, und nach einer eingehenden
Musterung der
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