Das ferne Leuchten - das Marsprojekt ; 1
gehorchen – was will er denn machen?«
Das ging herum wie ein Lauffeuer. Genau. Was wollte Pigrato denn dagegen tun? Gut, irgendwo gab es wohl ein paar Waffen – aber der Statthalter würde niemanden erschießen, nur weil sie ein letztes großes Fest auf dem Mars feiern wollten, ehe es zurück zur Erde ging, auf Nimmerwiedersehen.
Was will er denn machen? Nichts. Pigrato konnte nichts dagegen tun.
Eine ausgelassene Stimmung griff um sich. Die Stimmen wurden lauter, das Lachen wilder, ein heißes, rebellisches Gefühl beseelte die Siedler. Sie würden, jawohl, mit den Marsrovern zum Point Armstrong hinausfahren. Sie würden feiern, essen und sich betrinken im Angesicht der rostigroten Ebene und der ersten Ausläufer der Valles Marineris, im Lichte der beiden Marsmonde Phobos und Deimos, die in dieser Nacht gemeinsam am Himmel stehen würden.
So wurde aus der Küche in Isolierbehälter verpackt, was immer hineinging. Getränke wurden kistenweise in die obere Station hoch geschafft. Die Wettervorhersagen meldeten keine Stürme weit und breit – der Mars schien sich von seiner besten Seite zeigen zu wollen. Alles drängelte sich unter ausgelassenem Gelächter in der oberen Station vor den Schleusenkammern, es war ein einziges Anziehen und Überstreifen von Raumanzügen, Verschlüsse rasteten ein, Ventile zischten beim Abziehen von Anschlüssen, man klopfte sich gegenseitig auf die Helme und rangelte um die Plätze in der Schleuse.
Dann drückte die erste behandschuhte Hand auf die Taste der Schleusenautomatik, und – nichts geschah.
Der Himmel über ihnen war endlos weit, hell und klar, eine gelb-rosa Unendlichkeit. Der Rover lag hinter ihnen, hinter einer Bodenwelle außer Sicht gekommen, und sie stapften durch den Sand, in dem ihre Stiefel knöcheltief einsanken, auf die glitzernden Antennen der Station zu, sich ihren Weg zwischen den Felstrümmern suchend.
»Ich schätze, die Sturmsaison ist jetzt endgültig vorbei«, meinte Roger Knight. »Es wird endlich Frühling. Jetzt wäre eigentlich die Zeit, eine neue große Expedition zu starten. Stattdessen bauen wir die Zelte ab. Was für eine Schande.«
»Im neuen Jahr dürfte ich mit auf eine Expedition, hat es mal geheißen«, erinnerte sich Carl. Ihm zog es das Herz zusammen, als ihm bewusst wurde, dass das noch gar nicht so lange her war. Als die Welt noch in Ordnung gewesen war.
»Daedalia Planum«, sagte Roger Knight, selber in Gedanken versunken. »Da wollte ich immer mal hin. Frag mich nicht, wieso, ich kann’s dir nicht sagen. Aber ich weiß noch, wie ich das erste Mal einen Marsglobus in die Hand genommen habe, sind meine Finger auf Daedalia Planum hängen geblieben. Und seither hat es mich immer gekitzelt, wenn ich es auf einer Marskarte gesehen habe. Verrückt, oder?«
»Daedalia Planum«, sagte Carl. »Ich sollte wissen, wo das liegt, was?«
»Ja, genau, du Marskind.« Der Pilot lachte. Er deutete in eine Himmelsrichtung, etwa Südosten. »Dort hinten. Zweieinhalbtausend Kilometer sind es von hier, schätze ich. Immer am Tharsis-Massiv entlang, durchs Noctis Labyrinthus, und wenn der rote Sand weniger wird und schwarzer Fels zum Vorschein kommt, dann beginnt es. Daedalia Planum.« Er seufzte. »Wenn wir im Orbit sind, werd ich noch mal einen Blick draufwerfen. Wenigstens das.«
Carl musterte den Mann von der Seite. Durch die Helme hindurch sah er wenig von seinem Gesicht, aber ihm war doch, als blickte der Pilot sehnsüchtig in die Richtung, in die er zeigte, mit einem Ausdruck um die Augen, der Carl fatal an den Blick erinnerte, den Elinn bekam, wenn sie von ihren Marsianern sprach.
In diesem Augenblick stieg in einiger Entfernung vor ihnen eine rot schimmernde Staubwolke auf, in der gleich darauf dunkle, unverkennbare Umrisse sichtbar wurden. Ein Rover, der mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zuhielt.
»Da kommt jemand«, sagte Carl.
Knight gab einen knurrenden Laut von sich. »Wurde auch Zeit.«
Sie blieben stehen und warteten, bis das riesige Fahrzeug mit knirschenden Drahtreifen vor ihnen zum Stehen kam, schwankend wie ein alter Segler bei Seegang. Aus der Nähe hörte man das hohe Sirren der Turbine. Der rote Staub ringsumher senkte sich langsam wieder und wurde noch einmal durcheinander gewirbelt, als das Außenluk der kleinen Mannschleuse zischend auffuhr und die Restluft daraus entwich.
Am Steuer saß Daniel Eisenhardt, ein junger Habitat-Techniker mit hellen, zerstrubbelten Haaren, den noch nie jemand anders als unverschämt
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