Das ferne Leuchten - das Marsprojekt ; 1
wir haben den Verdacht, dass es jemand ist, der beabsichtigt, sich der Evakuierung der Siedlung zu entziehen, womöglich in der irrigen Hoffnung, allein auf dem Mars zurückbleiben zu können. Dieser Person oder diesen Personen möchte ich hiermit erklären, dass wir Anweisung haben, die gesamte Siedlung nach der Räumung zu entlüften, um die Geräte und Anlagen vor Korrosion zu schützen. Ich wiederhole: Es hat keinen Sinn, sich verstecken zu wollen, denn wir werden die gesamte Atemluft der Marssiedlung ablassen. Die Entlüftung wird in jedem Fall stattfinden, um Eigentum der Föderation der Erdstaaten zu schützen. Wer sich der Evakuierung mutwillig entzieht, tut dies auf eigenes Risiko. Im Übrigen verweise ich hierzu auf die entsprechenden Artikel der Raumfahrtordnung und des Gesetzes für extraterrestrische Niederlassungen.«
Ein quietschendes Krachen drang aus dem Lautsprecher, das alle zusammenzucken ließ und einem in den Zähnen wehtat, dann war die Verbindung beendet. Sofort redete alles erregt durcheinander, wurden Fäuste geschüttelt, fuchtelten Hände umher.
Carl hatte seinen Raumanzug während Pigratos Ansprache ebenfalls ausgezogen, aber er hängte ihn nicht zurück in die Ladestation, sondern behielt ihn über dem Arm. Er bahnte sich einen Weg zwischen den Leuten hindurch zu den Halterungen, in denen Arianas, Elinns und Ronnys Raumanzüge hingen, und nahm sie ebenfalls an sich. Dann, unbeachtet von allen anderen, ging er damit zum Aufzug und fuhr hinab in die Siedlung.
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AI-20 braucht Bedenkzeit
Die Luft in ihrem alten Versteck war kalt und roch sauer. Als könne man Verzweiflung riechen. Die anderen waren schon da, hockten auf den dünnbeinigen Stühlen und sahen ihm stumm zu, wie er die Raumanzüge in einer Ecke ablegte.
»Die nützen uns auch nichts«, meinte Ronny mutlos.
»Mal sehen«, sagte Carl nur. Er wollte noch nicht über seinen Plan sprechen. Jetzt noch nicht. Der Abend war noch lang, und wenn sich einer von ihnen verplapperte, war alles aus.
Er sah, dass Elinn zitterte. Ganz leicht nur, und vielleicht hatte es von den anderen noch niemand bemerkt, aber er kannte sie. Sie hatte Angst. Obwohl sie so mager war und in manchen Momenten geradezu elfenhaft zerbrechlich wirkte, hatte sie nicht oft Angst.
In Arianas Gesicht schwelte Wut, nur mühsam im Zaun gehalten. Sie wäre am liebsten losgezogen und hätte jemanden verprügelt, das war unübersehbar.
»Ich möchte, dass jetzt jeder von uns erzählt, wie es ihm geht«, sagte Carl und zog den kleinen schwarzen Kasten hervor, den er unterwegs aus dem Fernsehraum mitgenommen hatte. Es war ein Videomail-Rekorder, ein simples altes Teil mit Kamera und Mikrofon, einer Stunde Aufnahmedauer und Anschlüssen für alle Arten von Datenleitungen. »Sagt es so, dass es Leute auf der Erde verstehen können. Wir schicken das dann an Michael Visilakis.«
»Und?«, sagte Pigrato finster.
Graham Dipple nickte ernst. »Die Leute sind wieder unten in der Siedlung«, sagte er. »Es gab wohl den Vorschlag, Werkzeug zu holen und die Steuerung der Schleusen zu überbrücken, aber so weit wollte man dann doch nicht gehen. Soweit ich mitbekommen habe, wollen sie ihr marsianisches Silvester nun auf der Plaza feiern.«
»Sollen sie. Noch was?«
»Ja.« Der Mann mit den seltsamen Narben im Gesicht knetete nervös die Hände. »Die Raumanzüge der Kinder fehlen.«
Pigrato gab einen schnaubenden Laut von sich. »Was heißt das, sie fehlen?«
»Nun, sie hängen nicht in ihren Ladestationen. Ich bin alle Schleusenvorräume abgegangen, sie sind auch nicht irgendwo anders angeschlossen.«
»Ah.« Der Statthalter starrte eine Weile Löcher in die Luft. Die Konsolen des Maschinenleitstands summten leise und schufen eine Atmosphäre, die unter anderen Umständen fast einschläfernd gewesen wäre. »Die Raumanzüge der Kinder, hmm? Ich wusste, dass die uns eines Tages Schwierigkeiten machen würden. Was heißt eines Tages? Sie haben uns die ganze Zeit Schwierigkeiten gemacht. Aber das ist jetzt richtig heftig. Wenn einer der Siedler das probiert hätte, würde ich jetzt hart durchgreifen, verstehen Sie, Dipple? Aber bei den Kindern muss man mit jeder Dummheit rechnen. Und wenn ihnen was passiert, wird man uns dafür verantwortlich machen.« Pigrato schüttelte den Kopf. »Das war die größte Idiotie von Sanchez, zuzulassen, dass Kinder auf dem Mars zur Welt kommen. Jetzt sehen wir, was dabei herauskommt. Aber ich habe ihn damals auch gewählt, können Sie sich
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