Das Fest Der Fliegen
Domingos Wagen hinterließ, gefolgt, hatte sein Motorrad vor den ersten Häusern des Ortes in einer Wegsenke verborgen, die von einer Gruppe Krüppelkiefern vor Blicken geschützt war, sich neben die Maschine gesetzt und gewartet.
Der Auspuff strahlte Wärme ab. Wann würde Domingo den Auftrag ausführen? Oder sich als Verräter erweisen … Als der Erdboden dunkel wurde, brach Carafa auf. Er umrundete die Häusergruppe unterhalb am nördlichen Abhang, schlenkerte den Motorradhelm in der rechten Hand und gelangte nach kurzem Aufstieg zu dem kleinen Friedhof, der die Kapelle umgab. Er entdeckte Domingo, der aus der Kapelle kam, wartete, bis er vorüber war, und lief langsam hinter ihm her. Törring erblickte jenseits der Kapelle, neben einem flachen Natursteinbau mit verrostetem Gittertor, einen weiteren Mann im Anorak, der einen Motorradhelm in der rechten Hand schlenkerte. Also hatte er doch richtig gehört. Ein Tourist, der es vermutlich mit seinem Zweirad leichter gehabt hatte, hier heraufzukommen, als sie mit ihrem alten Landrover Station . Der Motorradfahrer ging langsam hinter dem Mann im Anzug her. Es schien Törring, als ob er ihn verfolgte oder zumindest beobachtete.
Lavrakis hatte in der Küche das Licht eingeschaltet. Eine nackte Hundertwattglühbirne hing in der Mitte des Raums am Kabel von der Decke und warf einen kalten, grellen Schein auf den mit Marmorbruch gefliesten Fußboden, der ursprünglich einmal weiß gewesen sein musste, mit den Jahren aber von Farbklecksen übersät worden war. Im Licht sah Swoboda jetzt zwei Staffeleien und neben ihnen eine Reihe von Bildern an der Wand stehen. Auf dem berühmten rotockerfarbenen Lavrakis-Grund waren eingekrümmte menschliche Gestalten zu erkennen, wie Embryos in Nussschalen eingeschlossen, alle in gequälter Haltung. Das waren offensichtlich nicht seine Touristenbilder. Die Farbtöne gingen vom Rotocker hinunter in die Skala tiefer Braunmischungen bis zum Schwarz, nach oben über die hellen Rots zu Alizarin - Krapplack, gelbem Ocker und Neapelgelb hinauf. Die Farbskala, die Swoboda bevorzugte – aus Blau und Schwarz und Grün und Echtgelb – kam auf den Bildern von Lavrakis nicht vor. Bei ihm fielen die Farben Tizians auf, und mit dem Gedanken an Ranuccio Farnese kam Alexander Swoboda wieder zu Bewusstsein, warum er hierhergekommen war. »Simeon, du you remember the Camera Obscura in Edinburgh?« »Of course I do«, sagte er und nahm Swoboda den Löffel aus der Hand. »Do you remember me? I was there.« »Of course.« »But why –« Swoboda wusste nicht weiter. Lavrakis lächelte zum ersten Mal, seit die Deutschen hier angekommen waren. »I knew you would come. In Edinburgh when we were at the police station, one of the cops said you’re not a painter.« »Aber natürlich bin ich Maler!« Er fühlte sich erwischt wie ein Schuljunge. Lavrakis schloss das kleine Lüftungsschott an der Ofenklappe, um die Hitze zu verringern. »Yes, you are. Don’t worry. I don’t hate german police. I hate greek police. Now! The raddle! It’s time for the raddle!« Swoboda sah sein Leben vor sich. Hatte er sein Künstlerdasein verpasst durch seinen bürgerlichen Beruf als Polizist? Hätte er Freiheit und Einsamkeit, die ihm plötzlich wie ein Geschenk vorkamen, auch haben können, wenn ihm nicht Sicherheit, Familie, Verantwortung wichtig gewesen wären? Das rigorose Leben nur für die Kunst, die nun einmal nichts neben sich duldet – hätte er das ausgehalten wie Simeon Lavrakis? Hier, an einem der vielen Enden der Welt, wo man versteinern musste, um standzuhalten? Lavrakis griff zu dem Beutel mit dem Rest des Rotockerpigments und öffnete ihn. Er fasste hinein und rieb den Staub zwischen Zeigefinger und Daumen, hielt Swoboda den Beutel hin und forderte ihn auf, die Feinheit ebenfalls zu prüfen. Es war glatt wie Talkumpuder. »Best quality!« Lavrakis strahlte übers ganze Gesicht. Er drückte Swoboda den Holzlöffel in die Hand, bedeutete ihm, kräftig und gleichmäßig zu rühren, und begann mit dem Einschütten des Pigments. Törring trat vom Eingang in die Küche und stellte sich neben den Herd. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Domingo kam langsam von der Taverne her auf das Haus zu. Agnoulis hatte ihm beschrieben, wo Lavrakis wohnte. Im letzten Licht des Tags fühlte sich Domingo sicher.
»Now it’s ready. Some ten minutes or so. Ready for cooling.« Lavrakis schob die Klappe am unteren Lufteinlass des Ofens zu und zog den Kessel von der Feuerstelle zur
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