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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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zuletzt der Farbe Rotocker. Griechisch, englisch und deutsch wurde wiederholt auf seine Gesundheit getrunken. Agnoulis bot das einzige Zimmer an, das er am Ende der Saison noch bereithielt. Swoboda entschied sich, den Vorschlag von Lavrakis anzunehmen, auf dem Gästebett bei ihm zu nächtigen, und so stieg Törring, vor sich hin singend »Keine Zahnbürste, das macht ja gar nichts«, hinter dem Wirt in den ersten Stock der Taverne, während die beiden Maler das Gasthaus verließen und im Schein der Taschenlampe zu Lavrakis’ Haus zurückkehrten. Der Regen hatte aufgehört, die Luft war frisch, über dem Bergdorf lag friedliche, nächtliche Stille. Swoboda blieb stehen und atmete tief ein und aus. »It’s a nice place.« »No. It’s not at all nice. It’s just true.« Lavrakis hob den Kopf und horchte. »Do you hear it?«
    »Nein.« Swoboda wusste das englische Wort für Hörsturz nicht und unterließ die Erklärung für sein geschwächtes Gehör. »There is something. There is a noise! Somebody is groaning.« Lavrakis bewegte sich vorsichtig in die Richtung, aus der er das Geräusch vernahm. Swoboda folgte ihm. Jetzt hörte auch er, dass irgendwo im Dunkel vor ihnen ein Mensch stöhnte. Er schien nicht im Freien zu sein, die Laute hatten einen räumlichen Hall. Swoboda nahm Lavrakis am Arm, hielt ihn an und schob sich vor ihn. »The flashlight.« Der Maler reichte ihm die Taschenlampe. Swoboda zögerte, horchte ins Dunkel. Dann folgte er dem Stöhnen, das mit jedem seiner Schritte deutlicher vernehmbar wurde und die beiden Männer zum alten Beinhaus lenkte, dessen Gittertor offen stand. Die Menschenknochen, Schenkel und Arme, die hier den Boden bedeckten, Schädel und Unterkiefer wahllos verstreut, leuchteten im Strahl der Taschenlampe weiß auf. Die Totenköpfe schienen zu lächeln, wenn der Lichtschein sie traf. In der Tiefe des Gewölbes, wo kleine, beschilderte Holzkästen mit den Knochen einzelner Toter im namenlosen Gebein standen, erfasste die Lampe einen Körper, nasse Schuhsohlen, gekrümmte Knie, einen mit Blut vollgesogenen Anorak und dahinter ein Gesicht, das, ohne die Augen zu schließen, in den Lichtstrahl starrte. Der Mann riss, als das Licht ihn traf, den Mund auf, glänzendes Blut rann über die Unterlippe. Aus dem schwarzen Loch kam ein hohes Stöhnen, dann ein Keuchen, das zu einem pfeifenden Zischen anstieg und jenseits der Töne erstarb. Carafas Atem war verbraucht.

XI
Himmelskönigin
    Der Hausherr trug einen weißen Anzug, zum silbernen Hemd eine orangerote Fliege, Socken derselben Farbe in weißen Schuhen. Ein bisschen zu grell für Zungen an der Nelda, doch schließlich war man bei einem Iren zu Gast, der irgendwas mit der Kunst zu tun hatte und mit dem Glück der Menschen, für das seine Stiftung Bonanima zuständig war. Iren, Engländer, Schotten: Ihnen verzieh man jeden spleen . Leicester Burtons Stil, seine Gäste zu empfangen, war herzlich und von ausgesuchter Noblesse. Er hatte für elf Uhr geladen, in der Hoffnung, dass dann genug Sonne und Wärme wäre, um im Park das Begrüßungsglas Prosecco anbieten zu können. Doch seit den frühen Morgenstunden des Sonntags regnete es und Bürgermeister Ehrlicher verwies Burton auf die Bauernregel: »An Hedwig bricht der Wetterlauf, dann hört das gute Wetter auf!« Mochte also die heilige Hedwig schuld sein, dass man sich nicht im Park der Iren-Villa verteilen konnte, sondern dass die Gäste in der Eingangshalle und auf dem unteren Teil der Treppe zur Galerie ebenso gedrängt beieinanderstanden wie draußen im Entree die Regenschirme. Neugier hatte nicht nur die sogenannte Hautevolee von Zungen an der Nelda verlockt, auch Menschen ohne Titel, Gesellschaftsglanz und mit durchschnittlichem Einkommen ließen sich die Matinee der Stiftung Bonanima , zu der Burton vor drei Tagen in einem Interview mit den Zungerer Nachrichten eingeladen hatte, nicht entgehen. Unter seiner zur Schau getragenen guten Laune verbarg der Ire, dass er nach einem Anruf Domingos im Morgengrauen in Panik geraten war und sich noch immer in einem Zustand höchster Anspannung befand. Dagegen half auch nicht der Glaube an den Schutz der Jungfrau Maria. Doch mit der ungeheuren Selbstdisziplin, die er sich als Junge anerzogen hatte, um die Strafen, Zudringlichkeiten und Schändungen der irischen Mönche ertragen zu können, gelang es ihm, sich vom Griff der Angst zu befreien und zu ordnen, was geschehen war, um zu erkennen, was er daraus folgern musste. Domingo hatte aus

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