Das Fest Der Fliegen
Morgen noch der Stuhl von Petrus Venerandus gestanden hatte, und mit einem goldenen Füllfederhalter an sein Glas klingelte, hatte sich die Gesellschaft ausgiebig umgesehen, das drei Meter breite Seewasseraquarium bewundert, da und dort hatte der eine oder andere Gast schon einen Happen vom Buffet geschnappt und sich von Giovanni Salviati, Domenico de Cupis und Philippe de la Chambre, die in weinroten Kellneranzügen und mit weißen Stoffhandschuhen um das Wohl der Gäste bemüht waren, das Glas ein zweites Mal mit Prosecco füllen lassen. Nun wandte man sich dem Gastgeber zu. Das Summen verebbte. »Verehrte Gäste, es war höchste Zeit, dass ich mich für die liebenswerte Gastfreundschaft Ihrer Stadt einmal mit einem kleinen Empfang im offenen Haus der Stiftung Bonanima bedanke.« Burton wählte genau den richtigen Tonfall: freundlich, nicht anbiedernd; selbstbewusst ohne Hochmut. »Ich halte es nämlich, Europa hin oder her, keineswegs für selbstverständlich, dass man als Fremder so vorurteilslos aufgenommen wird wie in Ihrer zauberhaften Stadt.« Man konnte das selbstgefällige Lächeln der Gäste förmlich schmatzen hören. Durch nichts hätte er den Zungerern ein größeres Wohlbehagen bereiten können als durch das Lob ihrer Vorurteilslosigkeit, von der er mehr überzeugt zu sein schien als sie selbst. »Mein Vater, Cloudesley Burton, sagte mir oft: Ein angenehmer Mensch ist überall willkommen. Ich sehe daraus, dass Sie mich für einen angenehmen Menschen halten müssen.« So mochten sie es: eine Spur Ironie, Erinnerung an die Familie, gepaart mit dem Lob guten Benehmens. »Dafür danke ich Ihnen. Auch dafür, dass ich in der Hedwigskirche, deren Pfarrer leider so schrecklich ums Leben kam, den Marienaltar untersuchen durfte. Sie haben hier wirklich ein ganz ungewöhnliches Kunstwerk! Glauben Sie mir. Ich habe große Marienaltäre gesehen, den von Veit Stoß in Krakau oder von Van Eyck in Dresden, ich habe Conrad von Soests Altar in Dortmund gesehen und den Marienkrönungsaltar in Stralsund, großartige Werke des Glaubens und der Kunst. Aber ich kann Ihnen sagen: Hier in Zungen in Ihrer schönen Hedwigskirche ist Maria triumphans, die siegreiche Jungfrau, das stärkste Sinnbild dafür, dass das Böse unterliegen wird in dem Kampf, den Luzifer erneut gegen die himmlischen Mächte begonnen hat! Die Heilige Jungfrau vereitelt die Anschläge des Satans und vernichtet seine Anhänger hier auf Erden. In unserer heidnischen, verdorbenen Zeit kann uns nur die Himmelskönigin retten!«
Seine Stimme war höher und lauter geworden. Plötzlich begriff er, was er gesagt hatte, und hielt inne. Die Zuhörer schwiegen. Der eben noch joviale Mann vor ihnen hatte sich seltsam verändert, sah sie mit glasigen Augen an, blinzelte nicht, schien mit einem Mal fern zu sein. Dann senkte er den Kopf, schloss die Augenlider, besann sich und fuhr in seiner Rede fort, als sei nichts gewesen. »Unsere Stiftung Bonanima hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen, vor allem junge Menschen, die vom rechten Weg abgekommen sind, wieder zurückzuführen zum Guten, ihnen eine Chance zu geben und sie seelisch und im Glauben aufzurüsten gegen die Versuchungen, die im Leben immer wieder auf sie zukommen werden. Bonanima ist ein Netzwerk der hilfreichen Hände. Bürger, Priester, Ärzte, Nonnen arbeiten zusammen. Vielleicht, wenn Frau Matt zustimmt, können wir in dem alten Mühlengelände an der Mühr eine Auffangstation für die Gestrauchelten einrichten und sie durch Arbeit in der Landwirtschaft wieder an einen Alltag mit Regeln und in Würde gewöhnen. Natürlich wäre dafür gesorgt, dass das städtische Leben davon nicht belästigt würde. Sie wissen, ich bin nur ein Kunsthistoriker, auch ich bin ein Laie in der Hilfe. Aber unsere Erfolge geben uns recht. Man muss das Gute tun, wenn man will, dass es wächst in der Welt.« Die präzise gesetzte Pause ließ Gelegenheit zum Beifall für den zweifellos richtigen Grundsatz. »Ich bin sehr glücklich, dass die Brauerei Sinzinger und die Fleischfabrik Ungureith uns Spenden in Aussicht gestellt haben. Aber ich bitte Sie alle: Überlegen Sie, ob Sie uns bei unserem barmherzigen Werk unterstützen wollen.
Auch kleine Beträge sind uns sehr willkommen. Helfen Sie uns. Helfen Sie den Gestrauchelten dieser Welt. Bitte! – Ich danke Ihnen. Das Buffet ist eröffnet.« Den letzten Teil der Rede hatte er schnell, unbewegt und ohne jedes Zögern gesprochen, so als habe er dieselben rhetorischen Versatzstücke
Weitere Kostenlose Bücher