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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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V-Ausschnitt. Beide waren zu dünn für meinen Geschmack. Mir sind Rubens-Figuren lieber. Kennen Sie Rubens?«
    »Bin ihm nie begegnet.« Woody merkte sofort, dass es die falsche Antwort war, und verkniff sich die Frage: »Wohnt er hier in der Stadt?«
    »Egal«, sagte Woody. »Sie haben ein gutes Gedächtnis für Kleidung.«
    Jean lachte kurz. »An Kleidung erinnere ich mich immer besser als an Gesichter. Wahrscheinlich, weil ich so modebewusst bin. Die Sachen waren jedenfalls nicht teuer, eher was für den Fitness-Club. Ich dachte, sie kämen alle aus irgendeinem Kurs im You-You.«
    »Wann war das?«
    »Vor einer Woche. Und es muss am Samstag gewesen sein, denn sonst wäre Nina in der Schule gewesen.«
    »Hatten Sie sie vorher schon mal gesehen?«
    »Die eine der Frauen kam mir bekannt vor. Die Blonde. Und es kann sein, dass ich den Mann auch schon mal gesehen hatte. Es ist wirklich ein Glück für mich, dass das You-You so nah ist. Viele Leute, die da arbeiten oder Kurse machen, kommen hierher. Nach ihrem Kurs sind sie ziemlich hungrig. Ich verkaufe viel mehr Gebäck, als ich jemals erwartet hatte. Und Croissants! Ich wusste kaum, was ein Croissant ist, bevor ich eröffnet habe. Ich habe sie immer Teilchen genannt. Aber so viele kommen her, dass es schwer ist, die Übersicht zu behalten. Und sie sehen alle gleich aus, wissen Sie – wie Seeleute.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie sind alle fit, und die Sachen, die sie tragen, sind für Yoga oder irgendwelche Hüpfkurse. Die meisten sind zwischen, na ja, zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Natürlich sind auch Ältere dabei – Yoga für Senioren, Pilates für Senioren. Ich finde wirklich, sie müssten vorsichtiger sein. Manche sind ganz rot und außer Atem, wenn sie nach ihrem Kurs hereinkommen. Es wäre schrecklich, wenn einer von ihnen umkippte, bevor er die Rechnung bezahlt hat.« Jean lachte wieder kurz. »Aber im Ernst, im letzten Frühjahr musste mal wegen einer Frau der Krankenwagen kommen. Es war dann nur Herzrasen, doch es hätte auch schlimmer sein können. Ihre Freundin hat den Notarzt gerufen. Und meine Freundin – sie ist Bibliothekarin – meinte, ich sollte eine Krankenschwester in Bereitschaft halten. Das war ein Scherz, aber trotzdem …«
    »Können Sie mir noch mehr über die erzählen, die Sie erkannt haben?«
    »Sie meinen die, die mit Nina zusammen waren? Die Blonde war ungefähr so groß wie Nina. Das ist nicht sehr groß, oder? Vielleicht eins sechzig, eins fünfundsechzig. Sehr fit, kein Gramm Fett am Leib. Vielleicht ein spitzes Gesicht. Haben Sie schon mal jemanden angesehen und gedacht, er oder sie sieht aus wie eine Katze oder ein Vogel, vielleicht wie ein Fisch? Dieses Mädchen erinnerte mich an einen Greyhound, einen blonden Greyhound. Und der Mann? Er hatte ein paar graue Haare und war unrasiert. Er war vielleicht eins achtzig, auf jeden Fall größer als die Blonde. Ein eckiges Gesicht – er erinnerte mich an eine Bulldogge. Oder vielleicht an einen Mops. Seine Augen lagen weit auseinander, wie bei einem Mops, und Kinn und Mund waren gequetscht.«
    »Gequetscht?«
    »Ein eckiges Kinn und schmale, abwärts gekrümmte Lippen – Sie wissen, was ich meine.«
    Woody wusste es nicht. »Und in welcher Stimmung waren sie? Wie haben sie sich benommen?«
    »Oh, sie waren ganz vergnügt. Haben gelacht und Witze gemacht. Ziemlich laut.«
    »Nina auch?«
    »Ich weiß nicht, ob sie viel gesagt hat, jedenfalls hat sie genauso viel gelacht wie die andern …« Jean brach ab und schaute über Woodys Schulter hinweg jemanden an. Sie hatte schon zwei- oder dreimal in die Richtung geblickt, doch jetzt runzelte sie die Stirn, als ob da ein Fremder zu lauschen versuchte. Woody drehte sich um und sah Jill Franklin, die ihn mit einem leicht ironischen Lächeln anschaute.
    »Sie mischen Dienst und Vergnügen?«
    Jeder Mensch hat in seinem Leben ein oder zwei Kreuze zu tragen. Eins von Woodys lästigen Kreuzen bestand darin, dass er rot wurde – nicht oft, aber immer in Augenblicken leichter Verlegenheit gegenüber einer Frau.
    »Ich sitze an dem Tisch drüben am Fenster«, sagte er, »mit dem Kaffee und der Zeitung.« Er sagte es ein wenig brüsk, um das Erröten auszugleichen.
    »Ihr Kaffee muss kalt sein.«
    »Sind Sie schon lange hier?«
    »Vielleicht eine Minute.«
    Er spürte leisen Ärger. »Haben Sie brauchbare Informationen für einen neuen Artikel bekommen?« Dann fiel ihm ein, dass sie ihren Job verloren hatte.
    Jills Blick hatte seinen

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