Das Fest der Schlangen
auszuprobieren. Seine Mom war entsetzt, aber sein Dad hatte als Junge auch eins gehabt und lachte nur. Für einen Jungen gehörte es zum Heranwachsen, war sein Argument.
Der andere Junge, Alex Milbank, hatte eine Crossman- 1377 C-Multipump-Luftpistole mit einem Vierzehn-Zoll-Lauf. Durch zehnfaches Pumpen erreichte ein Bolzen eine Geschwindigkeit von hundertachtzig Metern pro Sekunde. Die Pistole enthielt nur einen Bolzen, und er musste nach jedem Schuss nachladen, aber das ging schnell. Alex hatte sie von seinem Bruder Mikey »geliehen«. Mikey war im letzten Jahr auf der Highschool und würde ernsthaft stinkig werden, wenn er es herausfände.
Alex transportierte die Waffen in einer Sporttasche zusammen mit einem Karton Donuts, einem Sixpack Coke und einer Plastiktüte für das, was sie erlegen würden. Sie fuhren mit dem Rad auf der Whipple Street in südlicher Richtung stadtauswärts, ein halbes Dutzend Straßen weit, vorbei an alten und neu gebauten Häusern. Das letzte Haus, das sie passierten, war ein altes Farmhaus, das Schwester Asherah MacDonald und ihrer Partnerin, Schwester Isis Perry, gehörte. Nach einer weiteren Viertelmeile endete die Whipple Street in einer Sackgasse an einem Wildtierreservat, dem Trustom Pond National Wildlife Refuge: dreihundertzwanzig Hektar Wald, die sich vom Trustom Pond, einer Lagune hinter einem zwei Meilen langen Strandwall, landeinwärts erstreckten. Die Jungen schoben ihre Räder ungefähr zwanzig Meter weit in den Wald hinein und packten ihre Waffen aus.
Wenn ein Junge eine Waffe in die Hand nimmt, ist das ein Augenblick der Verwandlung. Ein guter Junge verwandelt sich nicht unbedingt in einen schlechten, ein vorsichtiger nicht in einen waghalsigen. Eher nimmt er Würde an, eine neue Art von Bedeutung, zumeist durchzogen von Phantasien, wie ein Steak mit Fettadern marmoriert ist. Davie und Alex fühlten sich sofort älter, reifer. Sie waren zu Jägern geworden, zu potenziellen Ernährern, die von dem leben konnten, was das Land ihnen gab. Es war nichts, das sie speziell in sich selbst als Individuen sahen, doch jeder glaubte es im anderen zu sehen. Natürlich hatten sie gehört, dass Hercel McGarty von Kojoten gejagt worden war, aber sie dachten, wenn sie das Glück hätten, auf einen Kojoten zu stoßen, würden sie mühelos mit ihm fertigwerden.
»Weidmannsheil«, sagte Davie.
»Rock and Roll«, sagte Alex.
Sie trugen dunkle Sweatshirts und Baseballkappen. Davie hatte eine Tarnhose an, um die Alex ihn beneidete, denn er hatte nur eine Jeans. Leise gingen sie in den Wald hinein.
Anfangs hatte die Sonne geschienen, doch nun bewölkte es sich. Es war warm für Ende Oktober. Indian Summer, sagten die Leute. Bis auf die Eichen hatten die Bäume fast alle Blätter verloren. Die Jungen folgten keinem Weg, und es war mühsam, sich durch das Dickicht zu schlagen. Wenn sie gewusst hätten, dass die Apfelrose auch »Pilgerfluch« genannt wurde, hätten sie den Sinn sofort verstanden. Nadelrosen wuchsen hier auch. Die Dornen verhakten sich an ihren Sweatshirts und rissen ihnen die Mützen vom Kopf. Nach ein paar Minuten sahen sie hoch oben auf einer Eiche ein Eichhörnchen, und sofort nahmen sie es aufs Korn. Sie verschossen vielleicht fünfzig Rundkugeln und ein Dutzend Bolzen. Nach dem ersten Schuss huschte das Eichhörnchen auf die andere Seite des Baumstamms und wartete ab.
»Hast du es getroffen?«, fragte Davie.
Alex hätte gern Ja gesagt, aber er schüttelte den Kopf. Sie sahen sich zwischen den Bäumen um. Krähen krächzten, und sie hätten auch eine Krähe geschossen, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte, doch es kam keine. Sie hätten sogar auf eine Möwe geschossen.
»Wir müssen leiser sein«, sagte Alex.
Davie nickte, aber das war nicht leicht, wenn man sich durch das Dornengestrüpp drängte. Sie waren jedoch schon öfter in diesem Wald gewesen und wussten, dass dieses Dickicht nicht endlos war. Wieder sahen sie ein Eichhörnchen, und wieder schossen sie – daneben.
»Vielleicht, wenn wir auf sie warten?«, meinte Davie.
Das war vermutlich besser, als sich blutig kratzen zu lassen. Nach ungefähr zehn Metern gelangten sie auf eine kleine Lichtung, und dort ließen sie sich nieder, um die Äste ringsum zu beobachten.
Sie warteten. Im Wald war es still, nicht mal die Krähen krächzten mehr. Der Wind wisperte leise in den Zweigen. Gelegentlich hörten sie ein Rascheln, aber das ging vorbei, und dann war es wieder still.
Nach zehn Minuten sagte Davie
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