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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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sondern die Art, wie man damit umging, das Protokoll.
    Die Serie von rationalen Zurechtlegungen, mit denen Woody sich als Nächstes beschäftigte, möchte man fast nicht beschreiben. Sie betrafen Jills Arbeit als Reporterin und Woodys Fragen danach, wie sie über die aufgehängte Katze schreiben würde, über Hercels Flucht vor den Kojoten und Ninas Verschwinden. Je länger er darüber nachdachte, desto größer wurde seine Verärgerung. Anscheinend vergaß er Jills eigene Vorbehalte gegen das Schreiben über solche Themen. Während er an ihr journalistisches Verantwortungsbewusstsein dachte, oder dessen Abwesenheit, dachte er auch daran, wie sie aussah – an ihre glatte Haut, ihre muskulöse Figur. Aber er bemühte sich, so zu tun, als denke er nicht daran. Es war eine ärgerliche Ablenkung, nichts weiter.
    Der Vorwand, der als zartes Rauchfähnchen begann, gewann mehr und mehr Substanz. Vielleicht könnte man auch sagen, ein schlechter Grund verbarg sich hinter einem scheinbar guten. Wie dem auch sein mochte, um zwei Uhr früh rief Woody bei Jill Franklin an, um ihr wegen ihres verantwortungslosen Journalismus die Leviten zu lesen.
    Jill meldete sich nach dem dritten Klingeln mit einem gemurmelten Hallo. »Was machen Sie gerade?« Sein barscher Ton ließ erkennen, dass er hoffte, sie bei irgendeinem Unfug erwischt zu haben.
    »Ist da Woody? Na, ich schlafe komischerweise. Sie nicht, nehme ich an?«
    Wieder hatte Woody den Verdacht, dass sie dabei war, einen unverantwortlichen Bericht über die Ereignisse in Brewster zu schreiben. Doch während er sprach, wurde ihm klar, wie lächerlich er klang, und seine Aggressivität verblasste zu monotoner Betretenheit.
    »Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen zu machen«, sagte Jill. »Ich bin entlassen worden.« Sie erzählte, wie sie am Nachmittag bei Ted Pomeroy gewesen war, dem Eigentümer der Zeitung, und ihm gesagt hatte, sie wolle wieder Gesellschaftsmeldungen schreiben, weil sie es ethisch fragwürdig finde, dabei mitzuhelfen, eine Massenhysterie hervorzurufen. Obwohl sie erst seit Kurzem als Reporterin arbeite, sei sie bereits ein Opfer des solipsistischen Gedankens, ein Ereignis existiere nur, wenn die Zeitung oder das Fernsehen darüber berichte. Pomeroy hatte kein Verständnis gehabt. Er hatte in den letzten Tagen eine Auflagensteigerung erlebt, und er wollte, dass die sich fortsetzte. »Halten Sie sich für unersetzlich?«, hatte er gebrüllt. »Ich bin hier der Einzige, der unersetzlich ist!« Und dann hatte er sie gefeuert.
    »Mir scheint«, sagte sie zu Woody, »ich sollte Sie dafür verantwortlich machen. Schließlich sind Sie es, der mich die ganze Woche angeschrien hat.«
    Woody überlegte, ob er sich entschuldigen sollte, doch stattdessen kehrte er zu seiner ursprünglichen Frage zurück. »Und was machen Sie gerade?«
    Es blieb einen Moment lang still. Jill dachte über seine Frage nach, und Woody hörte, wie sie atmete. »Tja, ich telefoniere mit Ihnen. Davor habe ich tief geschlafen, und ich hoffe, in ein paar Minuten werde ich wieder schlafen, wenn Sie mich lassen.«
    »Okay, okay«, sagte Woody und klang wieder schroff. »Und was haben Sie zum Frühstück vor?«
    »Ich verbringe den Tag mit Luke und meinen Eltern. Haben Sie Montag Zeit?«

11
    Nicht nur Polizisten, Feuerwehrleute, Rettungsdienste und Notärzte bekommen schreckliche Dinge zu Gesicht. Oft sind es auch diejenigen, die den dunkleren Regionen des Lebens, wie man sagen könnte, in unschuldiger Ahnungslosigkeit gegenüberstehen. In Detroit stocherte vor einiger Zeit ein achtjähriger Junge in einem Müllsack herum, der seit zwei Tagen auf dem Spielplatz gelegen hatte. Was er gefunden zu haben glaubte, war das Bein eines Hirschs. Was er tatsächlich gefunden hatte, war die zerstückelte Leiche einer Prostituierten. Schwer, über so etwas hinwegzukommen.
    Am Montagmorgen beschlossen zwei vierzehnjährige Neuntklässler der Brewster Junior High, die Schule zu schwänzen und auf Eichhörnchenjagd zu gehen. Mit Vergnügen würden sie auch etwas Größeres schießen, wenn es ihnen über den Weg liefe. Davie Bottoms war bewaffnet mit einem Daisy DY 880 , einem Pumpluftgewehr mit fünfzig Rundkugeln im Magazin. Nach zehnfachem Pumpen flog eine solche Rundkugel mit zweihundertdreißig Metern pro Sekunde in ihr Ziel. Das Gewehr hatte fünfzig Dollar gekostet, die er sich im Handumdrehen mit Rasenmähen verdient hatte. In der Woche zuvor war es mit der Post gekommen, und Davie brannte darauf, es

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