Das Fest der Schlangen
Humor verloren.
»Verzeihung«, sagte Woody. »Das war eine dumme Bemerkung. Setzen wir uns.«
Jill bestellte einen Cappuccino, und beide orderten Bagels mit Creamcheese. Jill nahm außerdem einen Orangensaft. Bei all dem sprachen sie wenig miteinander. Jill trug Jeans und eine schwarze Lederjacke über einem kastanienbraunen Tanktop. An einer silbernen Halskette hing ein silbergefasster Lapislazuli.
»Hübsche Kette«, sagte Woody.
Jill begriff, dass dies eine weitere Entschuldigung für seine Bemerkung war. Vielleicht lag es in seiner Natur, so brüsk zu sein. Wenn ja, war es schade. Andererseits war er rot geworden, also war er vielleicht nur ein Mann mit den typischen inneren Widersprüchen. Sie lächelte.
»Ja, ich weiß, Sie haben mir erzählt, dass Sie entlassen worden sind.« Woody blieb beim Thema. »So viele Leute haben mir Fragen gestellt, Reporter aus Providence und Boston, Fernsehleute, Leute, die kein Recht haben, mir Fragen zu stellen.«
Wieder verschwand der Humor aus Jills Augen. »Ich habe nur gefragt, ob Sie Dienst und Vergnügen mischen. Dachten Sie, ich wollte Sie aushorchen?«
Woody erkannte, dass er schon wieder das Falsche gesagt hatte. Es gefiel ihm, wenn ihre Augen ernst wurden, auch wenn dieser Ausdruck nicht in seinem besten Interesse war. Er schaute hinaus auf die Straße. Wolken waren aufgezogen, hundert Schattierungen von Grau. Später würde es regnen. Er sah Jill wieder an, hob die Hände und wandte ihr die Handflächen zu. »Fangen wir noch mal von vorn an.«
Jean Sawyer kam mit Jills Cappuccino und den getoasteten Bagels, einem einfachen und einem Mehrkorn. Woody bekam den einfachen. Die Unterbrechung lockerte die Anspannung.
»Haben Sie Ihren Hund wieder im Truck gelassen?«, fragte Jill.
»Ajax? Dem gefällt das. Er weiß immer, dass ich zurückkomme.«
Nach und nach kamen sie auf andere Themen zu sprechen. Sie fuhr gern Kajak auf den Salzteichen entlang der Küste, und Woody auch. Sie rechneten aus, dass sie irgendwann gleichzeitig auf dem Trustom Pond unterwegs gewesen sein mussten. Das sah aus wie ein wohlwollender Zufall. Woody wanderte gern, Jill joggte, meistens am Strand bei Ebbe. Woody sagte, mit dem Joggen müsse er auch wieder anfangen. Dann unterhielten sie sich über Filme.
Ein Zuhörer hätte ihr Gespräch langweilig gefunden. Aber das Wichtige war der Subtext – ihre Gesten und wie sie einander ansahen und es nie allzu lange konnten. Erscheint es nicht töricht, dass man es beruhigend findet, wenn jemand anders den gleichen – oft albernen – Film mag wie man selbst? Beide mochten Herr der Ringe , sowohl den Film als auch die Bücher. Jill hatte die Trilogie dreimal gelesen, und den Kleinen Hobbit hatte sie Luke vorgelesen. Die Gemeinsamkeit gab ihnen ein wohliges Gefühl. Keiner wäre empört gewesen, wenn der andere Tolkien nicht gemocht hätte, aber so war es besser. Woody war kein großer Leser, doch er hatte den Fänger im Roggen und Von Mäusen und Menschen gelesen; beides hatte ihm gefallen, und Jill ebenfalls. Sie hatte etliche Kriminalromane gelesen. Woody nicht – sie hatten zu viel mit der Arbeit zu tun, auf eine groteske, übertriebene Weise –, aber er kannte Shining und Cujo und Stark , und aus irgendeinem Grund brachte ihn dies dazu, auf die Uhr zu sehen. Es war zehn nach neun. Er sprang auf, und sein Stuhl kippte krachend um.
»Heilige Scheiße, ich komme zu spät! Ich habe eine Besprechung! Haben Sie was dagegen, wenn ich Sie später anrufe?« Er wurde wieder rot – eigentlich nur blassrosa, doch Jill sah es trotzdem. Dann stürzte er zur Tür hinaus und ließ sie hinter sich offen.
Da muss ich wohl bezahlen , dachte Jill und zog ihr Portemonnaie. Sie hatte nichts dagegen.
Woody erschien als Letzter im Besprechungsraum auf dem Polizeirevier. Dieselben Männer und Frauen vom Samstag waren da, außerdem ein Detective aus Westerly und einer aus Charlestown, ein Detective der Sonderkommission zur Ergreifung gewalttätiger Flüchtlinge und ein weiterer von der kriminalpolizeilichen Ermittlungsabteilung, ein Jurist von der Staatsanwaltschaft und mehrere andere Leute, die Woody nicht kannte. Am Tisch war kein Platz mehr, aber man hatte ihm einen Stuhl frei gehalten. Sechs Leute saßen dicht gedrängt an der Wand. Alle blickten auf, als er hereinkam. Heute Morgen gab es weder Kaffee noch Donuts.
»Schön, dass Sie es noch schaffen konnten, Corporal«, sagte Captain Brotman in neutralem Ton.
Bobby Anderson zwinkerte Woody über den
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