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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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war.
    Deshalb war Bingo Schwartz jetzt auf dem Weg zu George Crandall, dem Chef von Crandall Investments. Bingo hinkte stark, und den Regen spürte er kaum. »Im Winter mag er die Dicken, im Sommer die Dünnen«, sang er auf Italienisch, obwohl niemand es hören konnte. Er trug einen braunen Anzug und einen schwarzen Regenmantel. Auf seinem Kopf saß eine griechische Fischermütze.
    George Crandall war geboren und aufgewachsen in Brewster, tat jedoch sein Bestes, um wie ein Wall-Street-Mogul auszusehen, und seine Anzüge waren Imitationen von Fünftausend-Dollar-Originalen. Er war vierzig Jahre alt, und für die meisten Leute war er immer noch Georgie. Wenn er mit jemandem bekannt gemacht wurde, verströmte er wichtige Ernsthaftigkeit, aber dann kicherte er über irgendeine Albernheit oder machte eine dumme Bemerkung, und die ganze Seriosität war beim Teufel.
    »Ronnie schläft seit zwei Jahren in meinem Eingang«, erzählte er Bingo. »Seit dem Tod seiner Frau. Er hat ein Haus; er will es bloß nicht benutzen. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, aber sanft wie ein Lamm. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang. Der Prozess der Trauer läuft bei jedem anders, nehme ich an. Anfangs hat es mich gestört, dass er da draußen schlief. Schließlich ist das mein Eingang. Doch dann habe ich mich dran gewöhnt. Er hat ja nichts Böses getan, und er hat keinen Dreck gemacht, von ein paar gelegentlichen Krümeln abgesehen. Morgens um sieben war er weg, mitsamt seinem Schlafsack. Ich weiß nicht genau, wo er dann war, aber tagsüber war er oft in der Bibliothek.«
    Bingo fragte sich, worauf das hinauslaufen sollte, doch er war geduldig und hielt es für richtig, die Befragten das Tempo ihrer Geschichte selbst bestimmen zu lassen. Es war immer ein Fehler, sie zu hetzen. Dann wurden sie angespannt.
    »Deshalb fing ich am Freitagmorgen an, mir Sorgen zu machen. Ronnies Schlafsack lag noch da. Ich konnte ihn ja nicht in der Eingangsnische liegen lassen, deshalb habe ich ihn mit hineingenommen. Dann habe ich ihn zu West Cleaners gebracht, um ihn waschen zu lassen – reinigen und desinfizieren, besser gesagt. Er war total verdreckt. Ich dachte, Ronnie würde sich freuen. Wäre doch schön, dieser ganze Zitronenduft. Aber Ronnie kam nicht zurück, weder Samstagabend noch Sonntagabend. Da habe ich die Polizei angerufen. Das war hoffentlich in Ordnung.« Crandall lachte nervös.
    »Hat er so was schon mal gemacht?«, fragte Bingo.
    »Absolut nie. Ich meine, er war mal eine Nacht nicht da, doch dann hat er seinen Schlafsack mitgenommen. Und ich dachte, bei all diesen furchtbaren Geschichten – das gestohlene Baby und die Schlangen –, ich dachte, Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich bin mit Ralph Summers, Peggys Dad, zur Schule gegangen, auch wenn er ein paar Jahre über mir war, und ich habe ihre Mutter kennengelernt, als ich so alt war wie Peggy jetzt. Und dann diese Skalpierung. Ich habe mir sogar vorgestellt, der arme Ronnie könnte skalpiert worden sein. Und jetzt ist Nina verschwunden. Sehen Sie, dass Ronnie ein paar Tage wegbleibt, das ist noch nie vorgekommen.«
    Am Montagabend war es um sechs Uhr dunkel, und der starke Regen hatte nicht nachgelassen. Der Wind zerrte weiter an den letzten Blättern, und ein paar Straßen standen unter Wasser. Es war ein Abend, an dem man zu Hause blieb, ein Abend, an dem man das Feuer im Kamin anzündete.
    Um acht Uhr fuhren zwei Autos auf der Whipple Street hinaus, vorbei an dem Farmhaus, in dem Schwester Asherah und Schwester Isis wohnten, bis zum Wendehammer, wo sie drehten und langsam zurückkehrten. Als sie beim Farmhaus waren, gingen die Scheinwerfer aus, und die Türen öffneten sich. Vier Männer liefen über den Rasen, zwei weitere blieben am Steuer sitzen und warteten. Wahrscheinlich übertönte das Rauschen des Regens jedes Motorengeräusch. Im Erdgeschoss brannte Licht, hier und da auch im Obergeschoss, aber die beiden Frauen waren nicht zu sehen, doch das war gleichgültig. Schwester Asherahs blauer Prius parkte in der Einfahrt, Schwester Isis’ Civic stand in der Garage.
    Jeder der Männer trug mehrere Ziegelsteine. Geduckt näherten sie sich den Fenstern, damit man sie nicht sehen konnte. Dann blieben sie stehen, einer stieß einen Pfiff aus, und alle fingen an, die Steine zu werfen. An einem Ziegelstein, der durch ein Fenster fliegt, ist nichts Subtiles. Nichts entwickelt sich, nichts baut sich auf. Die Gewalt ist unmittelbar. Glas krachte und krachte. Ziegelsteine

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