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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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trocken und liehen ihm ein Männer-Sweatshirt aus dem Lager für Fundsachen. Seine nassen Sachen wurden über die Heizkörper gehängt, wo sie friedlich dampften.
    Hercel hatte die Aufgabe, einen kurzen Aufsatz für die fünfte Klasse zu schreiben – nicht mehr als zwei Seiten –, in dem zehn weitere Rechtschreibvokabeln vorkamen: Konsequenz , suspekt , unappetitlich , ominös , pittoresk , melancholisch , inkohärent , vehement , obstinat , zirkulieren . Er hatte beschlossen, darüber zu schreiben, wie Wrestling Brewster, der Gründer der Stadt, von Wölfen gefressen wurde, und hatte vor, sich die Vokabeln auf einen Schlag vom Hals zu schaffen, um dann Gelegenheit zu haben, sich über sein Thema zu verbreiten. In diesem Sinne und mit Hilfe eines Wörterbuchs schrieb er den ersten Satz nieder.
    »In der suspekten Dunkelheit eines pittoresken Waldes krochen die unappetitlichen Wölfe mit inkohärentem Knurren aus dem melancholischen Gebüsch.«
    Als er in einem Satz fünf Vokabeln erledigt hatte, fühlte er sich berauschend erlöst. Er feierte seinen Erfolg mit einem Ausflug zum Trinkbrunnen. Der befand sich neben dem Mitarbeiterraum, in dem zwei Kannen Kaffee standen, koffeinfrei und normal. Zwischen dem Trinkbrunnen und der Tür zum Aufenthaltsraum stieß er auf Baldo Bonaldo, der überlegte, ob er sich leisten könnte, ein Pulver in die Kaffeekannen zu schütten, das die Bibliotheksmitarbeiterinnen zu »unkontrolliertem Rülpsen« veranlassen würde, wie es auf dem Päckchen versprochen wurde. Würden sie ihn dafür verantwortlich machen?, fragte sich Baldo.
    Als er Hercel sah, nahm er ihn beiseite, um ihn um Rat zu fragen.
    »Bei dir piept’s wohl«, sagte Hercel.
    Sie diskutierten in lebhaftem Flüsterton darüber, und Hercel rief Baldo in Erinnerung, was er zu verlieren hatte. Baldo schilderte, wie unwiderstehlich sein Drang sei, und zeigte sich davon überzeugt, dass sie ihn niemals verdächtigen würden.
    »Sie werden glauben, sie haben was Falsches gegessen«, meinte er.
    »Alle?«, fragte Hercel.
    »Rülpsen ist nicht so schlimm wie furzen.«
    » › Unkontrollierbar ‹ bedeutet, dass man nicht aufhören kann.«
    Die Diskussion nahm ihren Fortgang. In den letzten paar Tagen war die Freundschaft zwischen Baldo und Hercel enger geworden, als sie es je gewesen war. Hercel verstand ihn zwar immer noch nicht – das war ein Teil von Baldos Anziehungskraft –, aber er empfand ihn als harmlos, intelligent und gutmütig, allerdings auch als jemanden, der in die Fänge einer Sucht geraten war. Sie einigten sich schließlich darauf, dass Baldo auf den Einsatz des Rülpspulvers in der Kaffeekanne verzichten würde, wenn Hercel ihm dafür einen Trick zeigte.
    »Aber ich kann es eigentlich nicht steuern«, warnte Hercel. »Ich weiß nicht, wie es funktioniert.«
    »Das ist okay«, sagte Baldo. »Ich meine, super!«
    Und so trennten sie sich. Baldo musste ebenfalls einen Aufsatz mit zehn Rechtschreibvokabeln verfassen, und es war ratsam, damit anzufangen. Bevor Hercel sich wieder an die Arbeit machte, nahm er einen gelben Tennisball aus dem Rucksack und legte ihn auf den Tisch.
    Dies waren die Fakten, die Hercel bis weit in den Nachmittag hinein beschäftigten:
    Am Morgen des 3 . November 1762 machte Wrestling Brewster sich auf den Weg in den Great Swamp, um dort Rotwild zu jagen. Der Winter stand vor der Tür, und die häusliche Speisekammer musste aufgefüllt werden. Sein Freund Moses Clinton hatte mitgehen wollen, aber am Abend zuvor hatte Clinton sich beim Holzschleppen den Knöchel verstaucht, und die Konsequenz davon war, dass er nicht laufen konnte. Bekannt für seinen sturen, obstinaten Charakter, machte Wrestling Brewster sich allein auf den Weg, bewaffnet mit seiner Muskete. Es war ein ominöser Entschluss.
    Als Brewster an diesem Abend nicht zurückkam, waren die Nachbarn beunruhigt. Einige meinten, man sollte trotz der Dunkelheit hinausgehen, andere wollten bis zum Morgen warten. So stritten sie vehement miteinander, während die Zeit verging. Schließlich entschieden sie sich dafür, bis zum Morgengrauen zu warten.
    Bei Sonnenaufgang brachen die Männer auf und folgten Wrestling Brewsters einsamem Weg in den Wald. Am Rande des Sumpfes machten sie eine schreckliche Entdeckung. Brewster war von Wölfen angefallen worden. Seine Kleider waren zerfetzt, seine Muskete lag neben ihm, und von ihm selbst war wenig mehr übrig als die Knochen. Drei Wölfe lagen bei ihm; einer war erschossen, zwei erschlagen. Die

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