Das Fest der Schlangen
Männer sammelten Brewsters Überreste ein, so gut es ging, und kehrten ins Dorf zurück.
Brewster war ein tiefreligiöser Mann gewesen, der schnell mit seinem Tadel bei der Hand war, wenn Nachbarn sich als unzulänglich erwiesen. Wenn jemand nicht zur Kirche ging, erschien Brewster vor seiner Tür und eskortierte ihn. Trinken, Tanzen und ausgelassenes Singen führten zur Festnahme der Übeltäter. Deshalb, und wegen seines Namens – der mit dem Teufel rang –, zirkulierte bald das Gerücht, der Teufel habe die Gestalt von Wölfen angenommen und ihn gefressen.
Gegen vier betrat Detective Bingo Schwartz die Bibliothek, wo er Ronnie McBride zu finden hoffte. Sehr zuversichtlich war er nicht, aber zumindest könnte er Ginger Phelps und Mary Michaels fragen, wann sie ihn zuletzt gesehen hatten. Ronnie war in der vergangenen Nacht nicht in die Eingangsnische von Crandall Investments zurückgekehrt. Bingo Schwartz hatte Ronnies kleines Haus in der Oak Street bereits durchsucht.
»Es ist wie ein Museum da«, hatte er Captain Brotman erzählt, der ihn mit der Suche nach Ronnie beauftragt hatte. »So sauber, dass man vom Fußboden essen könnte. Er hat überall Bilder von seiner toten Frau. Das Bett ist makellos, und zehn Teddybären sitzen nebeneinander auf den Kissen am Kopfende. Unheimlich. Ich hatte das Gefühl, sie starren mich an.«
Als Bingo an Gingers Tisch trat, summte er die letzte Arie des Boris aus Boris Godunov , die anfing mit den Worten: »Lebe wohl, mein Sohn, ich sterbe.« Das Regenwetter machte seinem Knie zu schaffen, und er hinkte schlimmer als sonst, aber er lehnte es ab, einen Stock zu benutzen. »Ich bin nicht bereit, mich von den Würdelosigkeiten des Alters erniedrigen zu lassen«, sagte er wohl manchmal. Solche Bemerkungen gehörten zu den Gründen, weshalb seine Frau ihn nicht leiden konnte. Sie fand sie opernhaft, als zitiere Bingo ständig aus irgendeinem Libretto.
Bingo war zwar in Warwick aufgewachsen, kannte Ginger jedoch seit vielen Jahren. »Hey, Ginger. Haben Sie Ronnie in letzter Zeit gesehen?«
»McBride?« Ginger dachte einen Moment lang nach. »Nicht mehr seit Donnerstag. Warum?«
»Hab nur ein paar Fragen an ihn.«
Ginger war gescheit, und außerdem waren diese Dinge in Brewster Tagesgespräch. »Glauben Sie, er hat gesehen, wie die arme Nina Lefebvre von der Straße weg entführt wurde?«
Bingo beschloss, darauf nicht zu antworten. »Wie kam er Ihnen vor, als Sie ihn gesehen haben?«
»Wie immer. Nicht allzu gut, nicht allzu schlecht. Er hat die Zeitungen gelesen, ist für ein Weilchen weggegangen und dann wiedergekommen. Hat weiter die Zeitungen gelesen und dann ein Nickerchen gemacht. Alles wie immer.«
Bingo wollte gerade fragen, wann Ronnie normalerweise wegging, als ein gelber Tennisball quer durch den Raum schoss, von der Wand abprallte, zur Decke hinaufflog – die mindestens sechs Meter hoch war – und von dort wieder herunterschwirrte. Im nächsten Moment griff Bingo ihn aus der Luft.
»Komisch«, sagte er.
Beim ersten Aufprall hatte Ginger den Blick starr auf Baldo Bonaldo gerichtet, aber der glotzte den Ball ebenso verblüfft an wie alle andern. Ein paar Leute sprangen auf, und die alte Mrs. Muldoon schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»So etwas ist noch nie vorgekommen«, sagte Ginger.
»Nein, das glaube ich.« Bingo steckte den gelben Tennisball in die Manteltasche und ging, und dabei summte er wieder seinen Boris vor sich hin: »Hab erreicht die höchste Macht …«
Eine halbe Stunde später schlenderte Baldo beiläufig an Hercels Tisch vorbei. »Du bist gruselig, echt gruselig.«
Hercel blickte nicht von seinem Aufsatz auf. »Zieh mal an meinem Finger«, sagte er nur.
Am Dienstagnachmittag fuhr Vicki Lefebvre zu Brantleys Bestattungsinstitut, um mit Ham Brantley über die Beisetzung ihrer Tochter zu sprechen. Der Leichenbeschauer in Providence hatte Ninas Leichnam noch nicht freigegeben, aber Vicki wollte ihrem Mann zuvorkommen, von dem sie seit fast fünf Jahren geschieden war. Sie hatte Angst, Harold könnte aus reiner Bosheit versuchen, Nina in Groton beerdigen zu lassen, wo er wohnte, und sie fand, da sie das Sorgerecht für Nina gehabt hatte, müsse sie auch das Sorgerecht für Totenandacht und Bestattung haben.
Ham Brantley war ebenfalls dieser Ansicht. Er und Vicki kannten einander seit der Grundschule. Sie gingen freundschaftlich miteinander um, waren aber nicht befreundet, denn Vicki fand es unbehaglich, dass Hammy »mit Toten
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