Das Fest der Schlangen
er kündigte. »Was sind Runen?«, fragte er.
»Wikingerschrift, Druidenlettern, woher soll ich das wissen, verdammt? Alte Buchstaben mit magischen Kräften. Diese Runen hier bedeuten Mann, Schlange und Feuer. Bingo hat den Dolch vor einer Viertelstunde Schwester Asherah gezeigt. Sie sagt, es sei ein Athame. Interessierst du dich nicht für den Skalp?«
»Ich sollte vielleicht lieber kommen«, sagte Woody.
Zehn Minuten später saß er mit Ajax im Truck. Jill hatte ihm Kaffee gemacht, doch für etwas anderes hatte er keine Zeit mehr. Er fühlte sich wie ein überlastetes System mit einem Gehirn voll durchgebrannter Synapsen. Er wusste, er sollte analysieren, was vor ihm lag, aber stattdessen liefen seine Gedanken im Kreis herum, während er sich an jeden seiner Augenblicke mit Jill erinnerte und versuchte, sie alle noch einmal zu erleben. Es hatte ihn verblüfft. Er bemühte sich, im Geiste heraufzubeschwören, wie ihre Haut sich anfühlte, wie ihre Augen aussahen – ihren Geruch, die Berührung ihrer Hand und das Gefühl ihres Bauchs an seinem. Staunend schüttelte er den Kopf und spürte, er sollte umkehren und wieder zu ihr fahren. Zum Teufel mit Brewster. Zumindest konnte er sie anrufen und sich versichern lassen, dass die letzten fünf Stunden wirklich passiert waren. Er hatte Angst, sie könnte sich verändern, er könnte sie nachher wiedersehen und feststellen, dass sie ein anderer Mensch war. Dass sich der Boden unter seinen Füßen aufgetan hatte, während es für sie ein One-Night-Stand gewesen war.
Er rief im Morgan Memorial an, um sich nach Barton Wilcox zu erkundigen, und sprach mit Bernie, die auf der Intensivstation war.
»Er lebt. Das ist das Beste, was man sagen kann. Eine Prognose gibt es noch nicht. Es sieht nicht gut aus. Ach, Woody, Sie sollten ihn sehen. Er sieht furchtbar aus. Ich bin seit Jahrzehnten Krankenschwester, aber ich kann ihm nicht helfen. Ich kann nur seine Hand halten.«
Woody hörte ihr zu und spürte, wie Jill in einen anderen Teil seines Gehirns zurückwich. Albernerweise hätte er Bernie gern erzählt, dass er die Nacht mit einer wunderbaren Frau verbracht hatte. Er war empört über einen so egozentrischen Gedanken.
»Kopf hoch, Bernie. Ich komme später vorbei, wenn ich kann.« Er holte tief Luft. »Es tut mir leid, Bernie. Das alles ist so schrecklich, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Mir ist scheußlich zumute, und dabei ist mir klar, dass es nicht zu vergleichen ist mit dem, was Sie empfinden. Ich würde alles tun, um zu helfen, ich weiß nur nicht, was ich tun kann.«
»Kümmern Sie sich um die Kinder und fangen Sie dieses durchgeknallte Arschloch, das auf meinen Mann geschossen hat.«
Woody fand Bobby Anderson, Bingo Schwartz und Detective Brendan Gazzola in einem kleinen Büro mit einem Schreibtisch, drei Stühlen und einem Schuhkarton. Die Gesichter der drei Polizisten ließen Woody an die Verlierer in einer Quizsendung denken, die sich bemühten, das Beste aus ihrem Schicksal zu machen. Auf dem Polizeirevier war das Rauchen verboten, und Gazzola warf seine Nicorette ein, als wären es Gummibärchen. Bingo summte vor sich hin.
Als er Woody sah, schüttelte Bobby den Kopf. »Diese Stadt ist komplett im Arsch.«
Woody warf einen Blick in den Schuhkarton. Was darin lag, sah aus wie das Nest für ein Rotkehlchen, das man vor der Katze gerettet hat: bräunliches Stroh, in dem der Vogel es warm hat. Er erkannte, dass es Ernest Hartmanns Skalp war, und wich zurück. »Bah«, sagte er.
»Eine brillant formulierte kritische Einschätzung.« Bobby schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Warum bin ich nicht darauf gekommen?«
»Was hat das hier zu suchen?«
»Gleich kommt einer aus der Rechtsmedizin und holt es ab. Aber das Kriminallabor will es auch sehen, wahrscheinlich aus morbider Neugier. Was wollen sie da finden? Fingerabdrücke? Ich persönlich finde, es sollte so bald wie möglich wieder mit Hartmann vereint werden, bevor irgendein Superschlauer es an den Zirkus verkauft.«
Was Chief Bonaldo anging, so war er, als er Hartmanns Skalp mit der Hand berührt hatte, »komplett ausgeflippt«. Die drei Detectives konnten es ihm nachfühlen. Keiner von ihnen hätte geschworen, dass es ihm nicht genauso gegangen wäre. Der Nachteil war, dass Bonaldos Geschrei die Nachbarn geweckt hatte und alle auf die Straße gerannt waren – einer mit einem Gewehr in der Hand –, um herauszufinden, was der Lärm sollte. Und natürlich hatten sie einem Haufen
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