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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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anzuziehen, der Ähnlichkeit mit einer Uniform hatte. Seine Brille, fand er, gab ihm ein intellektuelles Aussehen, sein Kahlkopf ließ Reife ahnen, und sein gewölbter Bauch verriet Würde. Er hatte ein Lächeln für jeden, küsste Babys, streichelte kleine Hunde. Alles, dachte er, war an seinem Platz, damit man ihn mochte und respektierte. Und trotzdem war er ein kläglicher Versager.
    Und wer war daran schuld? Dieses verdammte Baby und diese verdammte Schlange. Sie waren die Nägel im Sarg seines Ehrgeizes.
    Bonaldo hatte eine Leidenschaft für Diagramme – Organisationsdiagramme, ansteigende Profitdiagramme –, und so hatte er auch ein Diagramm seines unausweichlichen Aufstiegs vom kommissarischen zum ständigen Polizeichef. Dabei berücksichtigte er sogar denkbare Rückschläge und Perioden des langsamen Fortschritts. Schließlich konnte er ja nicht erwarten, dass es ständig steil bergauf ging. Das wäre ihm unbescheiden vorgekommen.
    Vielleicht wäre er mit dem verschwundenen Baby und der Schlange noch fertiggeworden, aber jetzt passierte immer mehr und das Schlimmste – oder beinahe das Schlimmste – waren diese Besprechungen mit Captain Brotman. Sie waren dazu angelegt, ihn in ein schlechtes Licht zu setzen. Joe Doyle, der Lieutenant aus South Kingstown, konnte ihn nicht ausstehen, und die anderen mochten ihn nicht besonders.
    Doch das alles war nicht mehr wichtig. Der kommissarische Polizeichef Fred Bonaldo hatte, metaphysisch gesprochen, das Handtuch geworfen. Er hatte seinem Ehrgeiz Lebewohl gesagt. Er würde mit Freuden ins Immobiliengeschäft zurückkehren. Und er wusste genau, in welchem Augenblick der Umschwung stattgefunden hatte: als er die Hand auf diesen pelzigen Skalp gelegt hatte. In diesem Moment war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Natürlich hatte er geschrien. Es war absolut naheliegend gewesen, zu schreien.
    Das waren die Gedanken, die Bonaldo durch den Kopf gingen, als er am Freitagmorgen an seinem Schreibtisch saß. Er hatte sich nicht um den Job beworben, damit man ihm eine Scheißangst einjagte. Natürlich hatte er nicht eine Sekunde geschlafen, und wegen seiner Schreierei waren auch viele andere um ihren Schlaf gebracht worden, und mehrere Leute hatten die Notrufnummer gewählt. Im Handumdrehen waren Polizisten aufgekreuzt und hatten ihren kommissarischen Chef bei einem hysterischen Anfall angetroffen. Niemand machte ihm Vorwürfe, zumindest nicht ins Gesicht. Darauf wäre es aber nicht mehr angekommen. Jetzt nicht mehr.
    Bonaldo war klar, dass er den Kram nicht einfach hinschmeißen konnte. Er würde sich bedeckt halten. Er würde im Büro bleiben. Er würde Zuständigkeiten delegieren. Als Carl die Flinte auf ihn richtete, hätte Bonaldo wissen sollen, dass er eine harte Wegstrecke vor sich hatte. Tja, jetzt wusste er es.
    In diesem Augenblick öffnete die Tür sich einen winzigen Spaltbreit, und eine Frau schlüpfte in sein Zimmer. Sie war groß – über eins achtzig – und sehr schlank, und sie trug ein langes, eng anliegendes schwarzes Kleid mit einem V-Ausschnitt. Sie hatte ein schmales Gesicht mit einer geraden Nase, schmalen Lippen und einem zierlichen Kinn. Ihr schwarzes Haar hing locker über die Schultern. Sie trug einen schwarzen Lidschatten, schwarzen Lippenstift, und sogar ihr Nagellack war schwarz. Ihre Haut hatte die Farbe von Pergament.
    Bonaldo beäugte sie angstvoll.
    Die Frau glitt auf seinen Schreibtisch zu. Ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen. Sie runzelte nicht die Stirn, lächelte aber auch nicht. Sie legte die langen schmalen Hände auf die Schreibtischplatte und beugte sich vor. Bonaldo bemühte sich, nicht in ihren Ausschnitt zu spähen. Doch da war nichts zu sehen – nur Dunkelheit.
    Die Frau sprach im Flüsterton. »Ich bin Satanistin«, sagte sie.
    Chief Bonaldo klappte den Mund zu und fing an, die Tasten an seiner Gegensprechanlage zu drücken, als wäre er Horowitz und spielte Liszt. Er brauchte Unterstützung.
    Detective Beth Lajoie erfuhr spät am Donnerstagnachmittag, dass Maggie Kelly Anfang September in New York wegen Prostitution verhaftet worden war. Das nächtliche Schnellgericht hatte ihr eine minderschwere Straftat zur Last gelegt, sie hatte eine Geldbuße gezahlt und war zehn Stunden nach der Festnahme wieder auf der Straße gewesen. Seitdem hatte sie entweder Glück gehabt, oder sie war sauber geblieben. Wahrscheinlich Ersteres, hatte ein Detective der Sittenpolizei South Manhattan gemeint.
    Detective Lajoie erklärte,

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