Das Fest der Schlangen
später war der Indian Summer zurückgekehrt, und hier und da blühte sogar noch einmal der Löwenzahn. So ist es in Neuengland im Herbst und im Frühling; auf Schneestürme folgen warme Tage, und dann schneit es wieder. Das Wetter macht sich lustig. Ein strahlender Sonntag, und Laubbläser und Rasenmäher waren im Einsatz. Die Leute brachten ihre Gärten in Ordnung, bevor es richtig schneite.
Es war der 15 . November, ein wichtiger Tag für Brewster, denn an diesem Tag fanden ein paar Tagesausflügler auf ihrer Wanderung zum Mount Tom Dr. Jonathan Balfour oder das, was von ihm übrig war. Er war am Rand eines Teichs durch das Eis gebrochen und stecken geblieben. Tiere hatten an ihm gefressen, wahrscheinlich Kojoten. Ob die Tiere ihn totgebissen oder erst später an ihm genagt hatten, ließ sich schwer sagen. Zwei Pistolen lagen neben ihm auf dem Boden, noch mit Patronen darin. Vielleicht hatten seine eigenen Kojoten ihn auf dem Heimweg von Brewster angefallen. Manche nannten das »ausgleichende Gerechtigkeit«. Manche meinten: »Wer andern eine Grube gräbt …«
Jean Sawyer im Brewster Brew war vermutlich die Erste, die sagte: »Genau wie Wrestling Brewster. Der Teufel hat ihn geholt.« Danach sagten das viele Leute. Der Vergleich hatte eine historische Ironie von der Sorte, die den Leuten gefiel, und er wurde in Brewster zu einem Klischee.
Woody besuchte Barton und Bernie Wilcox an diesem Sonntag auf der Farm. Barton lag noch immer auf dem Ruhesessel in seinem Arbeitszimmer fest, aber immerhin war sein neues Knie fast vollständig geheilt. Das Aufregendste in diesen Tagen war sein Gebrüll mit der Krankengymnastin.
Einer seiner Hunde war auf dem Wege der Besserung, der andere war tot. Bernie hatte Urlaub genommen. Hercel und Lucy wohnten bei ihnen, bis ihr Vater, Hercel McGarty Sen., entschieden hatte, wie es weitergehen sollte. Bernie hoffte, die Kinder würden bei ihnen bleiben können. Das wäre das Beste für alle.
»Die haben Brewster also als ihre private Farm benutzt«, meinte Barton. »So, wie ich eine Schaffarm habe.«
»In etwa«, sagte Woody. »Wahrscheinlich werden wir nie erfahren, wie viele Verstorbene durch ihre Hände gegangen sind. Wir haben zehn Särge exhumiert, und in sechs davon waren Puppenteile. Über die Babys weiß ich nichts. Balfour war in allen Fällen der Vater, so viel können wir immerhin vermuten. Darum ist die Plazenta verschwunden. Sie enthielt seine DNA . Wahrscheinlich gab es noch mehr Babys, von denen wir nichts wissen. Und wir wissen auch nicht, ob sie noch leben oder tot sind. So oder so würden sie einen hohen Preis erzielen. Brantley sagt, er weiß nichts darüber, aber die meiste Zeit sagt er gar nichts. Es interessiert ihn nicht, behauptet er. Er kommt nie mehr aus dem Gefängnis, sagt er – wozu also die Mühe? Leck mich am Arsch, das ist seine Grundhaltung. Das FBI ermittelt gegen die Unternehmen, die bei ihm gekauft haben. Das Finanzdezernat ebenfalls. Diese Firmen stecken tief in der Scheiße. Darum ging es schon bei den Ermittlungen des Gesundheitsinspektors aus Massachusetts, und darüber hatte er mit Hartmann gesprochen. Hartmann hatte für Donnerstag einen Termin mit Brantley vereinbart. Deshalb haben sie Angst bekommen. Sie dachten, Hartmann wisse mehr, als er wirklich wusste. Deshalb haben sie ihn umgebracht. Das Skalpieren war nur ein Ablenkungsmanöver.«
»Und was hat Hartmann gewusst?«, fragte Barton.
»Sehr wenig, nehme ich an, aber er wollte von Brantley die Unterlagen zu mehreren Leichnamen sehen, die an einen Körpermakler in Massachusetts geliefert worden waren. Brantley und Balfour hatten vor, ihren Betrieb zu schließen, sie wollten neue Identitäten annehmen und von dem Geld leben, das sie auf irgendwelchen Offshore-Konten gebunkert hatten. Das nimmt zumindest das Finanzdezernat an. Jedenfalls sind sie in Panik geraten. Sie waren zu habgierig, und deshalb sind sie mehr Risiken eingegangen und länger geblieben, als gescheit war. Was Clouston anging, dem traute Balfour nicht. Clouston hatte beim Pokern im Casino ein Vermögen verloren und verlangte mehr Geld.«
»Und wie geht’s Bobby?«, wollte Bernie wissen.
»Besser. Über Weihnachten bleibt er noch zu Hause. Seine Lunge ist kollabiert, und ich weiß nicht, wie lange er krankgeschrieben sein wird. Fast beneide ich ihn um die freie Zeit. Er wäre aber beinahe gestorben.«
Halb fünf nachmittags, und in der Stadt ist es dunkel, doch die Leute sind noch unterwegs, führen ihre Hunde aus
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