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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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vor, wie kalt es sein würde, wenn sie immer tiefer hineinging, bis ihr Kopf untergetaucht war. Was für eine plumpe Melodramatik. Konnte sie denn nichts mehr tun? Gab es keine geringere Buße als den Tod?
    Als Erstes würde sie mit Alice sprechen und herausfinden, wo sie sich in der fatalen Zeit aufgehalten hatte, denn den Unfug mit Alices Periode glaubte sie nicht. Was hatte sie getrieben? Und ließ der Spitzname Schwester Spandex nicht auf ein ganzes Spektrum von fragwürdigen Aktivitäten schließen? Hier genauer hinzuschauen, wäre sicher besser, als gar nichts zu tun.
    Jimmy Mooney und Seymour Hodges waren, von kurzen Nickerchen im Krankenwagen abgesehen, seit achtundzwanzig Stunden auf den Beinen, was für Jimmy bedeutete, dass er praktisch gar nicht geschlafen hatte, weil Seymour im Schlaf dauernd schrie. Wenn Jimmy fragte: »Wieso schreist du denn so, verdammt?«, antwortete Seymour nur: »Leck mich« oder »Willst du gar nicht wissen«. Zweimal hatte er geschrien: »Runter! Runter!« und zweimal auch: »Er brennt! Er brennt!« Mit Sicherheit wusste Jimmy nur, dass es nichts Schönes war, weshalb Seymour schrie. Aber eigentlich hörte Jimmy ganz gern mal die eine oder andere fiese Geschichte, und deshalb fragte er immer wieder: »Wieso schreist du so, Alter?« Und Seymour sagte dann: »Das ist abgefucktes Zeug, Mann. Tod und Verdammnis.« Jimmy war dann froh, dass er doch nicht zur Nationalgarde gegangen war.
    Am Abend hatte Jimmy noch einen Toten im Altenheim Ocean Breezes abgeholt und zu Digger Brantley gebracht, der in dritter Generation das Bestattungsinstitut Brantley am Hannaquit-Ende der Water Street betrieb. Er hieß natürlich nicht wirklich Digger, aber wie er wirklich hieß, wusste Jimmy nicht mehr. Diggers Taufname war Hamilton, und wer gut mit ihm bekannt war, nannte ihn Ham.
    Verstorbene für Digger abzuholen, war Jimmys zweiter Job. Er nannte sich Überführungsfahrer, auch wenn nur wenige in der Stadt wussten, was er damit genau meinte. Manchmal benutzte er den Krankenwagen und manchmal Diggers weißen Chevy-Kastenwagen: Er schob den Toten in einen schwarzen Leichensack und fuhr los. Manchmal wurde er auch gerufen, um einen Toten zum staatlichen Leichenschauhaus nach Providence zu bringen, oder die Rechtsmedizin rief ihn an, damit er einen dort abholte und nach Brewster brachte. Meistens übernahm Seymour das Fahren, und Jimmy bezahlte ihn mit dem Geld, das er von Digger bekam.
    Jimmy erledigte auch noch andere Arbeiten für Digger. Er war Sargträger, fuhr den Leichenwagen, öffnete und schloss den trauernden Witwen die Türen und half Larry im Ofenpalast. Das alles tat er nicht so sehr, weil es ihm Spaß machte oder weil die Bezahlung so gut war, sondern wegen seines möglichen Fortkommens. Digger war Mitte vierzig und hatte keine Kinder. Aber er und seine Frau Jenny waren allzu große Turteltäubchen, wenn man Jimmy fragte. Wie er zu Seymour sagte: »Wenn alte Leute ficken, wird mir ganz flau. Wie wenn du dir vorstellst, dass deine Eltern ficken. Graues Fleisch, verstehst du?«
    Jimmy hatte Digger erzählt, er suche einen ernsthafteren Job und habe sich deshalb zu einem zweijährigen Kurs in restaurativer Wiederherstellung an einem College in Massachusetts angemeldet. Digger sagte, wenn Jimmy die Prüfung bestehe, werde er ihn als Einbalsamierungspraktikanten einstellen. Jimmy war dreiundzwanzig, und er wurde nicht jünger. Er wollte aufsteigen und die Toten irgendwann nicht mehr transportieren, sondern unter die Erde bringen – oder auch ins Feuer, wenn das verlangt wurde.
    Jetzt gerade war Jimmy dabei, Seymour von der Frau zu erzählen, bei deren Einbalsamierung er zwei Tage zuvor geholfen hatte. »Herzinfarkt mit vierzig, was sagst du dazu? Die Arterien waren so verstopft von allem möglichen Scheiß, dass Digger die kleinen Nadeln benutzen musste, mit denen sie den Saft in tote Babys pumpen. Er meinte, das sei, als würde man Zahnpasta durch eine Injektionsspritze drücken. Im Bestattungsinstitut findest du alle Arten von Toten.«
    Seymour antwortete nicht. Stattdessen sagte er: »Hast du die Kojoten letzte Nacht gehört?«
    »Wann?«
    »Scheiße, Mann, als wir am Krankenhaus geparkt haben, sind die rund um den Wagen gerannt, haben gekläfft und mit den Zähnen geklickt. Ich wusste nicht, wieso, bis ich von dem gestohlenen Baby gehört habe. Hinter dem waren sie her. Die wollten ihre Zähne in das Baby schlagen. Das mögen sie gern. Weiches Zeug.«
    »Du erzählst Scheiße. Ich hab

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