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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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sagen. Und sie hätten recht.
    Natürlich würde sie zurücktreten, aber vielleicht könnte sie ihren Rücktritt auch nur anbieten. So oder so würde das Kuratorium sie loswerden wollen. Ohne Zweifel würde ihre bloße Anwesenheit die Leute veranlassen, sich für andere Krankenhäuser zu entscheiden. Eine werdende Mutter wäre nicht ganz bei Sinnen, wenn sie nach dem, was passiert war, ihr Kind in Brewster zur Welt bringen wollte, auch wenn das Morgan Memorial mit dem neuen Sicherheitssystem und verschärften Überwachungsmaßnahmen das sicherste Krankenhaus im ganzen Staat sein würde.
    Joyce Fuller hatte zehn Jahre auf Colleges und Universitäten verbracht und Diplome in Betriebswirtschaft und Krankenhausverwaltung erworben. Sie hätte auch ein Medizinerexamen ablegen können, aber sie hatte ein Krankenhaus führen wollen, statt zum Betrieb zu gehören. Was konnte sie mit diesen Diplomen jetzt noch anfangen? Kein anderes Haus würde sie mit dieser Tragödie in ihrer Akte noch einstellen. Vielleicht käme ein Job in einem Pharmaunternehmen oder einer Firma für medizinischen Bedarf infrage, und sie könnte sogar unterrichten. Doch das alles wollte sie nicht.
    Normalerweise waren um die fragliche Zeit zwei Schwestern auf der Säuglingsstation, aber eine hatte sich gestern am späten Nachmittag krank gemeldet, und damit blieb Alice Alessio übrig. Das Labor- und Hauswirtschaftspersonal kam um vier zum Dienst, zusätzliche medizinische Mitarbeiter kamen etwas später. Alice wäre also nur vier Stunden allein gewesen. Tatsächlich hatte Tabby Roberts, die Oberschwester, sie gestern Nachmittag angerufen, sie auf dieses Problem aufmerksam gemacht und um Rat gebeten. Statt sie anzuweisen, jemand anderen aufzutreiben, hatte Dr. Fuller einfach gesagt: »Das geht sicher in Ordnung.«
    Sie überlegte sogar – und sie wusste, dass so etwas unverzeihlich war –, ob es möglich wäre, den Auftrag für ein Säuglingsschutzsystem um eine Woche vorzudatieren, damit es so aussähe, als hätte sie versucht, ein Problem zu lösen, bevor es zu spät war. Fast hätte sie am Telefon etwas in dieser Richtung zu dem Verkäufer gesagt und ihm versprochen, sein System zu kaufen und kein anderes, aber dann hatte sie sich auf die Zunge gebissen. Besser dumm als dumm und kriminell.
    Womöglich, hatte Reggie Adams, der Kuratoriumsvorsitzende, gemeint, werde die Sache vor Gericht kommen. Das hinge nur von Peggy Summers ab. Reggie hatte gesagt, er werde sich unverzüglich mit den Anwälten des Krankenhauses in Verbindung setzen. Also, erkannte Dr. Fuller, würde sie nicht nur ihren Job verlieren, sondern vielleicht auch noch verklagt werden.
    Was hatte der Detective von der State Police sie gefragt? Wer sonst noch Bescheid gewusst habe? Anfangs hatte sie angenommen, nur drei oder vier Leute hätten gewusst, dass Alice allein sein würde. Aber diese wenigen konnten es anderen erzählt und die wiederum konnten es noch weiter verbreitet haben. »Mit anderen Worten«, hatte Woody Potter gemeint, »es könnten fünfzig Leute sein.« Natürlich hatte sie da ihre Zweifel, doch der Detective hatte klargemacht, was er meinte.
    Immerhin würde sie ihren Job noch für einen oder zwei Monate behalten. Reggie hatte erklärt, wenn man sich jetzt von ihr trennte, komme das einem Schuldeingeständnis des Krankenhauses gleich. »Aber es ist doch meine Schuld«, hatte Joyce gesagt. Ja, doch wenn sie das zugäben, würden sie eine Klage geradezu herausfordern. »Wir würden um Ärger bitten«, hatte Reggie gesagt.
    Also saß sie da, stach mit einem Bleistift auf einen Zettelblock ein und wartete darauf, dass noch jemand kam und sie – wie es mehrere bereits getan hatten – mit einem Gesichtsausdruck von Enttäuschung bis zur Wut anblickte, während sie sich bemühte, die Wogen zu glätten und die Sache bis zu einem gewissen Grad zu erklären. Wäre es nicht besser, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen? Ihr Vater, ein alter Soldat, hätte da keinen Zweifel gehabt. Strick oder Auspuffgase oder Tabletten wären für ihn nicht infrage gekommen. Er hätte seine Dienstpistole benutzt, die ihm, das hatte er ihr oft genug erzählt, im Pazifik gute Dienste geleistet hatte. Aber jetzt war er – zum Glück oder leider – nicht mehr da, und die Pistole war verkauft. Also blieben ihr Strick, Auspuffgase oder Tabletten als einzige Optionen. Sie konnte auch an den Strand fahren und in die Brandung hinauswaten. Sie sah sich ins Wasser gehen wie in einem Film, und stellte sich

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