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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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Jetzt würde sie auch voll davon sein, und es machte sie wütend, dass Woody so rücksichtslos war. Vickis eigener Wagen war ein jungfräulicher Honda Civic, in dem noch nie ein Tier mitgefahren war, und so würde es auch bleiben. Als Ajax ihr das Gesicht leckte, schob sie ihn weg.
    Unterwegs erzählte Vicki von ihrem Ex-Mann Harold Lefebvre, der mit seiner neuen Frau in Groton wohnte. Vicki und Harold hatten sich scheiden lassen, als Nina zwölf war. Viel war er nie wert gewesen, aber wenigstens hatte er die Rechnungen bezahlt. Jetzt war es schwer, ihn noch ans Telefon zu bekommen, und Nina sah er vielleicht einmal im Monat, vielleicht seltener. Manchmal rief er sie an oder schickte ihr eine lustige E-Mail. Wenn Vicki an ihn dachte, konnte sie sich gar nicht mehr erklären, warum sie ihn geheiratet hatte, außer weil er gut ausgesehen hatte. Das hatte Nina von ihm geerbt.
    Woody sprach kaum, stellte nur manchmal eine Frage und bat sie, Ninas neue Freunde zu beschreiben. Vicki fand ihn unaufmerksam und ausdruckslos. Als sie vor Vickis weißem Kolonialhaus anhielten, notierte er sich die Telefonnummern von Ninas Freundinnen sowie die Beschreibungen ihrer neuen Freunde und die Orte, an denen Vicki sie gesehen hatte. Vielleicht ist er doch nicht so übel , dachte sie.
    Sarah Muller war mit einem Streifenwagen des Brewster Police Department gekommen. Sie war um die dreißig, hatte kurzes dunkles Haar und trug eine graue Sporthose, eine grau gestreifte Bluse und eine blaue Jacke. Ihr war klar, dass sie hier die Quotenfrau spielte. Vicki schloss ihnen die Tür auf.
    Im Haus war es still bis auf das Brummen eines Kühlschranks. Für Woody sah es aus wie in einem Haus aus einer Zeitschrift, nicht weil alles so teuer war, sondern weil es unbewohnt wirkte. Auf den Tischen standen Keramikfiguren und ein halbes Dutzend Vasen mit Seidenblumen – gelben Tulpen und blauen Hortensien. Es gab auch eine Sammlung von seidenen Bonsais – Zypressen und japanische Ahornbäumchen –, wobei Woddy gar nicht auffiel, dass sie aus Seide und Plastik waren. Ihm fielen die dicken Teppiche auf, die sogar auf der Treppe lagen und das Geräusch ihrer Schritte verschluckten.
    Vicki blieb vor der Tür ihrer Tochter stehen und klopfte zweimal. »Nina, bist du angezogen? Ich komme jetzt herein. Ich habe Leute mitgebracht.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß sie die Tür auf. »Entschuldigen Sie das Durcheinander«, sagte sie über die Schulter hinweg. »Meine Tochter ist so schlampig.«
    Nina hatte geschlafen und richtete sich hastig auf. Sie trug ein weißes, bis zum Hals zugeknöpftes Männerhemd. Ihre dichten braunen Fransen bedeckten fast die Augen, und Woody verband ihre Topffrisur sofort mit den Postern der jungen Sängerin mit der starren Miene – muskuläre Melancholie nannte er so etwas. Der Boden war übersät von Kleidern, Schuhen, Papier, Büchern, CD -Hüllen und Energyriegel-Verpackungen, sodass vom Teppich nur wenig zu sehen war.
    »Das sind Polizisten«, sagte Vicki. »Ich weiß, dass du vergewaltigt worden bist. Du musst ihnen davon erzählen.«
    Sarah legte Vicki die Hand auf den Arm. »Lassen Sie uns das machen.«
    Woody zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich. Nina starrte auf ihren Schoß, aber Woody hatte den wütenden Blick gesehen, den sie ihrer Mutter zugeworfen hatte. Sarah blieb neben Vicki stehen, um sie daran zu hindern, sich einzumischen.
    »Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte Woody. Er bemühte sich, sanft zu sein, war jedoch nur leise.
    Nina starrte weiter auf ihren Schoß. Sie war ein hübsches Mädchen, aber die Mischung aus Wut und Elend fand Woody noch auffallender.
    »Weißt du, wer es getan hat?«, fragte er.
    Nina antwortete nicht.
    »Hat er dir wehgetan?«
    Keine Antwort.
    Zwanzig Minuten lang wiederholte Woody seine Fragen. Auch Sarah stellte ein paar. Irgendwann schickte Woody die Mutter hinaus. Dann wieder beschloss er, fünf Minuten lang zu schweigen – fünf Minuten waren sein Limit –, und musste dabei auf die Uhr schauen, weil fünf Minuten eine so lange Zeit waren. Die ganze Zeit rührte Nina sich nicht und sagte nichts. Es war, als sei sie in Trance. Woody überlegte, ob er die ganze Sache an Sarah übergeben sollte, weil eine Polizistin vielleicht mehr Erfolg haben würde, aber er konnte nicht erkennen, dass er etwas falsch machte.
    Er warf Sarah einen Blick zu, und sie zuckte die Achseln. Also schön , sagte Woody zu sich. Gehen wir ihr an die Gurgel .
    »Ich werde dir

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