Das Fest der Schlangen
oben sein.
»Hey, Carl, wo stecken Sie denn, verdammt?« Er ging quer durch den Wohnraum zur offenen Treppe und hinauf in den ersten Stock, und dabei polterte er laut auf den Stufen. Oben war wieder ein großes Fenster mit Blick auf das Meer.
Er schaute in zwei minimal eingerichtete Schlafzimmer und hatte gerade das größere der beiden betreten, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Er fuhr herum, und seine Hand griff nach der Pistole, ohne sie zu ziehen. Carl stand in der Tür.
»Scheiße, Carl, wollen Sie mich kirre machen?«
»Ich habe Sie nicht gehört.«
»Ja, am Arsch.«
Carl hielt einen kleinen Kopfhörer hoch. »Ich habe meinen iPod gehört, beim Anstreichen im zweiten Stock.« Er sprach in ausdruckslosem Ton.
Bobby überlegte noch einmal. Vielleicht sagte der Mann die Wahrheit. Andererseits hatte er nicht gehört, wie Carl die Treppe herunterkam, und deshalb glaubte er immer noch, dass Carl log. In dem hellen, vom Meer reflektierten Licht sahen die tiefen Falten in Carls Gesicht schwarz aus. Wahrscheinlich hatte er sich seit drei oder vier Tagen nicht rasiert. Carls widerspenstiges schwarzes Haar erinnerte Bobby an die griechische Frau, die statt goldener Locken Schlangen auf dem Kopf hatte – wie hieß sie gleich? Medusa.
»Und was wollen Sie?«, fragte Carl. Er trug einen Zimmermannsgürtel, in dem unter anderem ein Hammer und eine Brechstange hingen.
»Haben Sie Ihre graue Katze aufgehängt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ihre Katze wurde heute Morgen tot aufgefunden. Sie war mit einer Schnur an einem Ast des Wacholders aufgehängt, der vor Ihrer Veranda steht. Haben Sie das getan?«
»Weshalb zum Teufel soll ich eine Katze aufhängen?«
Bobby fiel auf, dass Carl nicht überrascht war. »Sagen Sie es mir.«
»Na, ich hab’s nicht getan. Haben Sie sonst noch was, womit Sie mich behelligen wollen?«
»Nehmen Sie Ihre Medikamente?«
Einen winzigen Augenblick lang erschien ein verschlagener Ausdruck auf Carls Gesicht und verschwand sofort wieder. »Welche Medikamente?«
»Die man Ihnen im Benjamin Rush verschrieben hat.«
»Na klar. Klar nehme ich meine Medikamente. Sonst noch was?«
»Was für Medikamente sind das?«
»Sagen Sie es mir, Sie sind doch so schlau. Ich brauch Ihnen gar nichts zu sagen.«
Diese Information, dachte Bobby, konnte er sich später immer noch besorgen. »Wem hat die Katze gehört?«
»Harriet.«
»Hatte sie einen Namen?«
»Ja, sie hieß Sooty. Oder so ähnlich.«
»Haben Sie sie gekauft?«
»Harriet hatte sie schon ein paar Jahre. Scheiße, wieso behelligen Sie mich deswegen?«
Selbst das sagte er ganz ruhig. Vielleicht nimmt er seine Medikamente wirklich, dachte Bobby. Vielleicht machen sie ihn gleichgültig. Doch obwohl Carls Stimme ruhig klang, wirkte er angespannt.
»Interessiert es Sie nicht, wer die Katze gefunden hat?«
»Warum sollte es? War nicht meine Katze. Vielleicht hat Harriet sie gefunden. Oder die Kinder.«
»Wollten Sie, dass Ihre Frau oder die Kinder sie finden?«
»Da reden Sie schon wieder so einen Müll. Überhaupt, das sind meine Stiefkinder.«
Bobby drehte sich zum Fenster um. »Sie haben eine tolle Aussicht hier. Ein erstklassiger Arbeitsplatz.«
Carl kam ein paar Schritte weit ins Zimmer. Auf dem Boden lag ein Teppich, und deshalb hörte Bobby ihn kaum. Als er sich umdrehte, war Carl anderthalb Meter näher gekommen.
»Wenn man auf Aussicht steht«, sagte er.
Bobby kam auf den Gedanken, dass er hier vielleicht nicht sicher war. Nicht, dass er Angst vor Carl hatte, aber er sah, dass es gefährlich sein könnte, ihm den Rücken zuzuwenden. Carl hatte noch die Schramme auf der Wange, wo Bobby ihn mit dem Lauf der Flinte getroffen hatte. Das würde er nicht so bald vergessen.
»Könnte sein, dass wir Sie wegen der Katze einem Lügendetektortest unterziehen müssen. Wären Sie dazu bereit?« Brotman würde einen Anfall kriegen, wenn er von einem Polygraphentest wegen einer Katze hörte.
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Carl. »Ich habe nichts zu verbergen.«
Er lügt , dachte Bobby. Das alles ist eine einzige Lüge. Entweder er ist bekloppt oder ich, und mir wäre es lieber, wenn er es ist .
Vicki Lefebvre machte sich am Vormittag auf den Weg, um Ninas beste Freundinnen zu suchen. Eine ging noch zur Schule, eine arbeitete, und eine studierte im ersten Jahr an der University of Rhode Island. Die Schülerin war nicht in der Stadt, und die Studentin war wahrscheinlich nicht leicht zu finden. Damit blieb Betty
Weitere Kostenlose Bücher