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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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Schatten, die lautlos aus der Dunkelheit näher glitten, sah sie nicht. Das leise Knurren, das sie wie die Ahnung nahenden Unheils in die Nacht woben, verhallte ungehört. Die Luft vibrierte vor Gefahr, aber Myriah war so von Kummer erfüllt, dass sie es nicht bemerkte.
    Erst als ihr ein Wolf knurrend und mit gebleckten Zähnen den Weg versperrte, blieb sie stehen. Als sie aufblickte, sah sie das Rudel, das den Ring um sie immer enger zog. Myriah stand da wie erstarrt. Eine namenlose Furcht lähmte sie und schnürte ihr die Kehle zu. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie die Wölfe an, die geifernd näher kamen. Mordlust und Blutgier im Blick …
     
    Als Lanaar erwachte, war es hell. Er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Er war allein. Der Platz neben ihm war leer, das Bett kalt. Myriah musste bereits früh aufgestanden sein. Sie schlief schlecht, seit es sich abzeichnete, dass sie ihm keine Kinder mehr gebären würde.
    Lanaar seufzte. Er liebte Myriah über alles, auch ohne Kinder, aber er konnte ihr in ihrem Kummer nicht helfen. Sie war verbohrt und fast schon verrückt von dem unerfüllten Sehnen nach einem Kind. In jedem unbedachten Wort von ihm glaubte sie einen Hinweis darauf zu finden, dass er sie nicht mehr liebte. Schon oft hatte er versucht, sie davon abzubringen, aber sie hatte es nicht hören wollen.
    »Myriah?« Lanaar setzte sich auf und lauschte, erhielt aber keine Antwort. Als er sich erhob, fiel sein Blick auf die Truhe. Der Deckel war geöffnet, der Inhalt durchwühlt. Was mochte sie dort gesucht haben? Kopfschüttelnd schloss er die Truhe wieder und trat ans Fenster. In der Nacht hatte es geschneit. Dick und weich ruhte der Schnee auf Bäumen und Sträuchern. Lanaar rieb sich die Augen und ließ den Blick über den Hof und die kleine Schneewehe schweifen, die sich mitten auf dem Hof gebildet hatte. Er glaubte, Myriah sei in den Stall gegangen, doch es waren keine Spuren zu sehen.
    »Seltsam.« Lanaar und kratzte sich am Hinterkopf, während er die Schneewehe betrachtete.
    Als er sich umwandte, entdeckte er das Buch. Es lag aufgeschlagen auf dem Tisch vor dem Fenster. Frische Wachsflecken auf den Seiten kündeten davon, dass Myriah in der Nacht darin gelesen hatte. Neugierig geworden, begann er die Zeilen zu lesen, auf denen die meisten Wachstropfen zu sehen waren.
    Die Tiere im Stalle, so saget man, sollen um Mitternachte die menschliche Sprache sprechen und sich über die Zukunft erzählen.
    Lanaar stockte der Atem. Er kannte die Legenden gut, die sich um die Zwölfnächte rankten, und erinnerte sich nun auch wieder daran, dass Myriah ihn in der Nacht geweckt hatte, weil sie glaubte, etwas gehört zu haben. Sie würde doch nicht …?
    »Nein!« Lanaar keuchte auf.
    Das konnte nicht sein.
    Das durfte nicht sein!
    Hastig blätterte er weiter.
    Hier waren keine Wachsflecken mehr zu sehen.
    Wer die Tiere allerdings sprechen höret, der sterbe unmittelbar danach …
    »Bei den Göttern!« Lanaar spürte, wie seine Kehle eng wurde. Myriah hatte nur die vorherige Seite gelesen.
    »Myriaaah!« Tränen verschleierten seinen Blick, als er barfuss aus der Hütte stürmte, zu der Schneewehe lief und wie von Sinnen zu graben begann.
     

Dan Simmons
                                    Gequält vom Albtraum
                                    in der schaukelnden Wiege
     
    Bruder Jimmy-Joe Billy-Bob verkündete den New Yorkern am Heiligen Abend das Wort; er paddelte mit seinem langen Einbaum-Kanu nach Osten den Zufluss der Forty-second Street hinauf und dann nach Norden, gegen die Strömung durch die Fifth Avenue und an der Stelle vorbei, wo das Dach der öffentlichen Bibliothek grünlich unter der dunklen Wasseroberfläche schimmerte. Es war ein kalter, aber friedlicher Abend. Der Sonnenuntergang war rot und wunderschön – das waren alle Sonnenuntergänge seit dem Großen Fehler – Lagerfeuer waren in vielen Etagen und auf vielen Dächern von zerschmetterten Wolkenkratzern entfacht worden, die aus dem dunklen Meer ragten wie die verbrannten Zypressenstümpfe aus den Sümpfen, an die sich Bruder aus seiner Kindheit erinnerte.
    Bruder paddelte vorsichtig, weil er um die Schwierigkeit wusste, das lange Kanu zu steuern, aber noch mehr wegen der kostbaren Fracht, die er von so weit hergebracht hatte. Hinter ihm, auf den Ruderbänken, lag wie ein übergroßer Kochtopf die Heilige Schüssel, deren Gottesohr zum brennenden Himmel

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