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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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dunkel«, sagte sie. »Möchtest du mit uns kommen, den Baum ansehen und die Geschenke auspacken?« »Ja«, sagte Bruder Jimmy-Joe Billy-Bob und betrachtete die rot gefärbte Tätowierung eines Zwerghuhns auf dem Handrücken des Kindes. »Und ich werde die Predigt halten.«
     
    Der Raum war sehr groß, die Wände schwarz vom Ruß der Lagerfeuer, und die verrotteten Teppiche hatte man mit Bastmatten zugedeckt. Die siebzehn Mitglieder des Klans vom Roten Zwerghuhn versammelten sich um die Heilige Glotze und den kleinen Weihnachtsbaum aus Aluminium beim Herd. Kerzen brannten. Der Papierstern eines Kindes zierte die Spitze des Baums. Bruder betrachtete die wenigen, behelfsmäßig verpackten Geschenke unter dem Baum und machte die Augen zu.
    Die alte McCarthy räusperte sich, wobei die winzige Zwerghuhntätowierung auf ihrer Stirn im Kerzenlicht zu glühen schien. »Geliebter Klan«, sagte sie, »es ist unser alter Brauch, Gott in dieser heiligsten aller Nächte zu danken und danach die Geschenke auszupacken, die der Weihnachtsmann uns gebracht hat. Aber in diesem Jahr ist unser Bruder von der Wahren Kirche in Dothan eingetroffen …« Sie machte eine Pause, schluckte, als würde sie etwas Bitteres schmecken, und fuhr fort: »Der uns jetzt von der morgigen Feier berichten und aus dem Wort Gottes lesen wird.«
    Bruder Jimmy-Joe Billy-Bob betrat den freien Raum vor dem Raum und stellte die HK 91 in Reichweite an den Tisch. Er holte die abgegriffene CÜN-Bibel aus dem Rucksack und legte sie auf die Heilige Glotze. »Brüder und Schwestern in Christus«, sagte er. »Morgen früh, wenn die Sonne aufgeht und der Weg rein ist, wird der heilige Sender sein Licht in der Dunkelheit erstrahlen lassen, und ihr werdet wieder das Wort vernehmen und Teil der Wahren Kirche des Beschwichtigten Jesus Christus werden. Meine Reise hierher ist nicht leicht gewesen. Der Feind ruhte nicht. Fünf meiner Brüder in Christus sind gestorben, damit ich es bis hierher schaffen konnte.« Bruder verstummte und betrachtete die Gesichter vor sich. Die alte McCarthy runzelte die Stirn, die Männer betrachteten ihn interessiert oder gleichgültig, viele Frauen und Kinder sahen ihn mit einer Bewunderung an, die an Ehrfurcht grenzte.
    »Die Zeit der Prüfung ist über uns gekommen und war lang und schwer«, sagte Bruder schließlich. »Aber von diesem auserwählten Ort wird das Wahre Wort – wie es unser Erlöser durch die acht Apostel verkündet hat – wieder gehört und im ganzen Land verbreitet werden.« Er machte wieder eine Pause und studierte die Gesichter im Kerzenschein. Ein paar der Kinder ließen die Blicke zu den Geschenken schweifen.
    »Hört, was geschrieben steht«, sagte Bruder und schlug die Bibel auf. »Offenbarung dreizehn, Verse sechzehn bis siebzehn: ›Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Knechte, sich ein Malzeichen geben an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, das niemand kaufen oder verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.‹«
    Ein leises Raunen lief durch die Menge. Bruder blätterte die Seite um und las wieder laut, ohne auf den Text zu sehen. »Offenbarung vierzehn, Verse neun bis elf«, sagte er. »›So jemand das Tier anbetet und sein Bild und nimmt das Malzeichen an seine Stirn oder an seine Hand, der soll von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der unvermischt eingeschenkt ist in seines Zornes Kelch, und wird gequält werden mit Feuer und Schwefel von den heiligen Engeln und von dem Lamm. Und der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier anbeten und sein Bild, und wer das Malzeichen seines Namens annimmt.‹«
    Bruder Jimmy-Joe Billy-Bob schloss die Augen und lächelte. »Aber ich lese euch auch aus dem Johannesevangelium drei, Verse sechzehn bis siebzehn vor«, sagte er. »›Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.‹« Bruder schlug die Augen auf und endete: »Amen«
    »Amen«, sagte die alte McCarthy. »Und nun lasst uns sehen, was der Weihnachtsmann uns dieses Jahr gebracht hat.«
     
    Gespräche und Gelächter ertönten wieder. Tara kuschelte sich an Bruder, während sich der Klan um den Weihnachtsbaum versammelte. »Ich fürchte, für dich wird kein Geschenk dabei

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