Das Fest der Zwerge
frösteln. Schnee und Nässe drangen in ihre Schuhe, aber sie kümmerte sich nicht darum. Ihre Gedanken waren bei den Tieren und bei dem Wunder, dem sie in dieser Nacht beizuwohnen hoffte.
Im Stall war es warm. Er roch nach Stroh und Mist und nach den vertrauten Ausdünstungen der Tiere. Mondlicht fiel durch das marode Strohdach. Im fahlen Licht sah Myriah Tyr und Sif, die beiden gescheckten Kaltblüter, ruhig in ihren Boxen stehen. Unweit davon dösten vier Ziegen im Stroh. Auf der anderen Seite stand in einem Verschlag die junge Kuh, die Lanaar erst im Sommer auf dem Markt erworben hatte und deren Milch so köstlich schmeckte. Gegenüber hatte sich die kleine sechsköpfige Schafherde ins Stroh gekuschelt. Die fünf Zibben waren bereits trächtig und würden in wenigen Wochen süße Lämmer zur Welt bringen. Auf den Stangen im Gebälk schliefen die Hühner.
Myriah suchte sich einem Platz nahe der Tür, wo das frische Stroh lagerte, und wartete.
Im Stall war es ruhig. Die Tiere schienen sie nicht bemerkt zu haben. Hin und wieder raschelte es im Stroh, manchmal schnaubte eines der Pferde. Myriah spürte, wie sie schläfrig wurde. Doch gerade als ihr die Augen zufielen, hörte sie die Glocken der fernen Dorfkirche Mitternacht schlagen. In der windstillen, frostklaren Nacht waren die zwölf Glockenschläge deutlich zu hören.
Die Tiere im Stall begannen sich zu regen. Myriah hielt den Atem an. Würden sie wirklich sprechen? Würde sie von ihnen etwas über die Zukunft erfahren?
»Es ist so weit. Es ist so weit«, krähte es in diesem Augenblick oben auf dem Dachbalken. Der Hahn kam heruntergeflogen, landete auf dem Boden der Stallgasse zwischen den Verschlägen und stolzierte umher. »Wacht auf! Wacht auf!«, rief er. »Unsere Zeit ist kostbar. Wir können endlich wieder über die Zukunft sprechen!«
»Ich möchte aber nicht an die Zukunft denken.« Gackernd kam ein Huhn herangeflogen und landete neben dem Hahn. »Denn dann müsste ich berichten, dass ich im Frühjahr geschlachtet werde.«
»Sie hat recht«, meckerte eine der Ziegen. »Du hast es gut getroffen, Hahn, dich wird der Bauer noch lange behalten. Mich aber wird er verkaufen, weil ich ihm keine Zicklein schenke.«
»Warum sollte es dir besser ergehen als der Bäuerin«, blökte eines der Schafe. »Die wird auch nicht mehr lange hier auf dem Hof verweilen. Und Menschlein bringt sie auch nicht zur Welt.«
Die Tiere gackerten, wieherten, muhten, meckerten und blökten, als hätte das Schaf einen besonders guten Scherz gemacht. Myriah überlief es eiskalt. Ihr wurde schwindelig, und das Atmen fiel ihr schwer. Sie hatte sich also nicht getäuscht. Lanaar würde sie verstoßen. Dass es aber so bald geschehen würde, damit hätte sie nicht gerechnet.
Vielleicht hat er im Dorf bereits ein Liebchen, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht trägt eines dieser jungen Dinger schon jetzt sein Kind unter dem Herzen. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Plötzlich bedauerte sie, den Stall betreten zu haben. Die Wahrheit war grausam, bitter und unerträglich. Hinter ihrer Stirn wirbelten die Gedanken. Was konnte sie tun, um das Unausweichliche zu verhindern? Konnte sie überhaupt noch etwas tun?
Sie hörte nicht mehr zu, was die Tiere sprachen, ihre Gedanken kreisten nur noch um das, was die Zukunft ihr bringen würde. Erst als die Turmglocken die Mitternachtsstunde beendeten und die Tiere verstummten, wurde sie sich wieder ihrer Umgebung bewusst. Der Mond hatte sein Antlitz hinter Wolken verborgen und das Licht mit sich fort genommen. Im Stall war es finster. Finster und still. Die Tiere dösten wieder, als sei nichts geschehen.
Myriah wusste, dass sie zurück ins Haus gehen musste. Sie hatte erfahren was sie wissen wollte, und wenn die Wahrheit auch ein einziger Albtraum war, so war es vielleicht doch besser so. Nun würde das Ende wenigstens nicht überraschend kommen.
Sie erhob sich mit steifen Gliedern und ging zur Tür. Ihre Muskeln schmerzten. Sie fühlte sich um Jahre gealtert, gebrechlich und leer. Die Zukunft lag grau und trostlos vor ihr. Es gab keine Hoffnung.
Als sie die Stalltür öffnete, wirbelten ihr dicke Schneeflocken entgegen. Die Spuren, die sie auf dem Weg zum Stall im Schnee hinterlassen hatte, waren nicht mehr zu sehen. Myriah trat in den Flockenwirbel hinaus, schloss die Tür sorgfältig hinter sich und machte sich langsam auf den Weg zum Haus. Er erschien ihr länger als zuvor, jeder Schritt wog schwerer als der vorige.
Die
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