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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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schüttelten fast unmerklich die Köpfe. Einige schnäuzten in bestickte Taschentücher. Es war nicht vorstellbar, sich denen da unten zu ergeben. Es war einfach nicht möglich. Zwei von ihnen waren noch Kinder, die meisten anderen Frauen, aber sie alle waren zum Kampf entschlossen. Ihre Äxte, silbern glänzend wie der Mond, würden sich wieder rot färben müssen wie in alter, ehrenvoller Zeit; die Farbe von frisch gekeltertem Wein annehmen, Schmerzen verschütten und Leben vergießen. So würden die letzten vierundzwanzig Weinaxtmenschen zu Tal reiten auf ihren lichterbehangenen Kampfrentieren in einer Lawine aus Schneefall und Schutt, um den Wucherern und Schacherern ein weiteres Mal die alten Werte zu lehren.
     
    Horch, wie der Wind singt …
     
    Der Konflikt war ein alter.
    Die Weinaxtmenschen hatte es schon gegeben, als noch keine Wucherer und Schacherer auf Erden herumwimmelten. Die Weinaxtmenschen waren ein schweigsames Volk, nie mehr als fünftausend, sechstausend Köpfe zählend. Ihre Körper waren klein und untersetzt, stämmig vor gebändigter Kraft. Die Nasen zur Breite und Himmelfahrt neigend, die Wangen rot, die Augenbrauen buschig. Sie kleideten sich in Rot, sogar mit roten Mützen, um in der weißen Umgebung ihrer nördlichen Heimat nie der Feigheit bezichtigt werden zu können. Die Männer trugen wallende Rauschebärte zur Zierde, die Frauen dünne, gepflegte Schnurrbärte. Sie lebten in malerischen Grotten, in denen es Krippen gab und Vieh, Salzkristallsäulen und Kalksteinkerzen.
    Die Weinaxtmenschen waren friedliebend und handelten mit Rentierhorn, Rentierfleisch, Rentierleder und Rentierfellen. Ihren kriegerischen Namen trugen sie, weil sie gerne erzählten von früheren Schlachten aus alter, ehrenvoller Zeit, als die Welt noch von Dämonen und Geistern bevölkert war. In dieser alten ehrenvollen Zeit hatten es die Weinaxtmenschen als die ihnen anvertraute Aufgabe angesehen, die wimmelnden Schattenhorden aus eierlegenden Hasen, leicht entflammbaren Truthähnen, riesigen Feuerwerkskarpfen und irrlichternden Kürbisköpfen mit bluttriefenden Kriegsäxten zurückzutreiben über den nördlichen Rand der Welt, wo das Hinterlistige und Ungeordnete dann ins Vergessen stürzte, trudelnd und quäkend, jahrtausendelang. Die Weinaxtmenschen verstanden sich als Hüter einer lichtdurchfluteten, geradlinigen Gerechtigkeit, und keines der Völker, mit denen sie Handel trieben und anderweitig verkehrten, zweifelte daran, denn die Weinaxtmenschen waren berühmt für ihr ausgleichendes Wesen, ihre Großzügigkeit und ihr tiefes, rollendes Gelächter.
     
    Doch dann kamen die Wucherer und Schacherer aus dem Süden, errichteten Stadt an Stadt und Turm an Turm, parzellierten die Länder, überbrückten Schluchten mit Geländerwegen, umzäunten Weiden zu Bauflächen und ließen den Weinaxtmenschen keinen Raum mehr, ihre Herden zu treiben. Wie Ungeziefer breiteten sich die Wucherer und Schacherer aus, wie ein Fraßbrand, und überzogen und durchtrennten die Ebenen mit ihren Stolper-, Stachel- und Singdrähten, ihren Hartstraßen, Blankschienen, Schnellwagen, Funkenzäunen und Gebietsverordnungen. Die Weinaxtmenschen wurden zuerst geschoben, dann gedrängt, dann bekämpft, dann wieder setzten sich ein paar langhaarige Wucherer und Schacherer entschuldigend und stellvertretend für sie ein. Man versprach ihnen Land, man überwachte ihre Umsiedlung in den höchsten Norden nahe den Abgründen der Dämonen, man vergaß ihre Lebensmittelzuteilungen, brach um gefundenen Goldes willen in die ihnen zugeteilten Gebiete ein, man untersagte ihren Frauen das Schnurrbarttragen und den Männern das Rentierzüchten. Letzteres, weil es nun auch unter den Wucherern und Schacherern plötzlich Rentierzüchter gab, die schließlich von etwas leben mussten. Man verdächtigte die Weinaxtmenschen aufgrund ihrer roten Kleidung seltsamer und staatszersetzender Gesinnungen, man verbannte die Beschäftigung mit ihren Anliegen auf die hintersten Tage des Jahres.
    Die Weinaxtmenschen blieben duldsam, denn sie waren ein schweigsames Volk.
    Sie ertrugen die Kälte des neuen Landes. Lernten, in der Kargheit Lebkuchen und Mandelmarzipan herzustellen, sich davon zu ernähren und Überschüsse sogar noch gewinnbringend zu verkaufen. Sie hielten sich an die Rentiergesetze. Sie nahmen sogar ihren Frauen die Bärte ab, auch wenn dies zu einem deutlichen Rückgang ihrer Geburten führte.
    Aber dann wurde es zu viel. Die Weinaxtmenschen, die einstmals

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