Das Fest der Zwerge
Krieger gewesen waren, wurden für freundliche, harmlose Witzfiguren gehalten, als »Läusenickel« – oder »Nickelläuse« – und Grußonkel diffamiert, als urige Originale bei ihren Tänzen und Bräuchen begafft und schließlich sogar als Einnahmequelle zum Wuchern und Schachern entdeckt und vermarktet. Es gab Werbefeldzüge für braunes, klebriges Zuckerwasser mit dem Konterfei eines allesempfehlenden Weinaxtmannes, es gab Weinaxtmänner aus Schokolade zum Nacktausziehen, Zertrümmern und Verschlingen, und es gab als Weinaxtmänner verkleidete Scharlatane, die an zugigen Straßenecken für Großkaufläden Reklame machten.
Sie wurden Kleinaxtmänner genannt und Keinaxtmänner.
Ihre Frauen nannte man unrasiert.
Die jüngeren Weinaxtmenschen hielten es nicht mehr aus. Es gab Abspaltungen. Es gab jugendliche, beinahe bartlose Weinaxtbanden, die die Grenzstädte der Wucherer und Schacherer unsicher machten, voller Sehnsucht nach einem neuartigen Wahrgenommenwerden oder einem ehrenhaften Ende. Dann, nach den ersten Straf- und Vergeltungsaktionen der Wucherer und Schacherer gegen die Weinaxtmenschen als solche, erklärte das ganze Volk der weinroten Axt dem Rest der Welt den Krieg.
Horch, wie der Wind singt,
in sonst stiller und heiliger Nacht …
Dieser Krieg währte nun schon seit einer langen, langen Zeit.
Es hatte zweitausendundsieben Scharmützel gegeben.
Auch Verhandlungen, auch Phasen des Friedens, der Müdigkeit, des Austausches.
Doch der Konflikt war nicht endgültig beizulegen.
Zu viele alte Weinaxtmenschen waren in den Wintern des hohen Nordens umgekommen.
Zu viele junge dem Alkohol und den ständigen Versuchungen der Freudenstädte verfallen.
Zu viele Rentiere auf den Hartstraßen von Schnellwagen gerammt und einfach liegen gelassen worden.
Der schleichende Krieg nahm kein Ende und höhlte alle aus.
Schließlich hatten die um Frieden bemühten langhaarigen Wucherer und Schacherer eine Idee: Sie widmeten den Weinaxtmenschen einen Gedenktag, weit hinten gegen Ende des Jahres, wenn der Winter auch die südlichen Ländereien gefangen hielt. Ursprünglich war dieser Tag das besinnliche Geburtstagsfest eines wichtigen Heiligen gewesen, doch nun sollte ein großer Tag der Verständigung und des Miteinanders daraus werden. Es sollte ein Tag des Schenkens sein. Jeder beschenkte jeden, anders als beim Wiegenfest, wo immer nur ein Einziger beschenkt wurde. Die Wucherer und Schacherer beschenkten die Weinaxtmenschen und erwarteten Geschenke als Entgegnung. Doch die verstanden den Sinn dieses Gedenktages nicht. Wenn jeder jeden beschenkte, konnten es genauso gut alle bleiben lassen. Außerdem waren sie nie Verschenker gewesen, sondern Händler. Großherzige, wohlmeinende Händler zwar, aber sie fühlten sich missverstanden, wenn man sie mit Geschenken in Verbindung brachte, denn es gab einen gravierenden Unterschied zwischen Großzügigkeit und Freigiebigkeit.
Und überall prangten die bunten, geschmacklos mit Flitter bestreuten Konterfeis der rauschebärtigen, ältlichen Weinaxtmänner. Überall brachte man die alten Lieder dar, mit neuen und falschen Worten versehen, sodass jedermann nun glaubte, alles verstehen zu können. Man rodete ganze Tannenwälder, nur um unabsichtlich Behausungen mittels kerzenüberladener Bäume in Brand zu setzen. Man schlachtete Federvieh in unüberschaubaren Mengen, aß und trank zu viel und stritt sich über all das, was sich im Laufe des Jahres aufgestaut hatte. Man wucherte und schacherte mit Geschenken herum, die gar nicht von Herzen kamen, sondern durch die Pflicht dieses Gedenktages verordnet und aufgebürdet waren. Man schenkte sich Anlässe zum Neid und zum Groll. Der Gedenktag war ein Schrecken.
Die Weinaxtmenschen wollten, dass dies aufhörte. Sie legten sich mit den Verordnern an, zerbrachen das dargebotene Friedenssymbol der Glühweinaxt und schulten ihre Kinder für die Schlacht. Der Krieg ging in seine heftigste und letzte Phase, und auf den Schlachtfeldern des Nordens wie auch den Kampfgebieten der Turmstädte blühte der rote Mohn des Untergangs.
Die Weinaxtfrauen ließen sich wieder stattliche Schnurrbärte stehen. Die Männer färbten ihre Bärte mit Asche zu feierlichem Weiß und pflegten die Schneiden ihrer Äxte mit dunklem Kräutersud, Hirschhornsalz, Koriander und Öl.
Sie fielen wie die Schneeflocken.
Und nun waren nur noch vierundzwanzig übrig geblieben.
Horch, wie der Wind singt,
in sonst stiller und heiliger Nacht.
Hat
Weitere Kostenlose Bücher