Das Fest der Zwerge
hörten, bekamen es mit der Furcht zu tun. Sie verriegelten ihre Türen und verrammelten ihre Fenster.
Aber sie unterschätzten, wie schmal der letzte Weinaxtmann in den Entbehrungen seines einsamen Feldzuges geworden war, und vergaßen die Kamine.
Horch, wie der Wind singt,
in sonst stiller und heiliger Nacht.
Hat schon so manchem Geschenke,
doch vielen nur Kälte gebracht.
Richard Schwartz
Der Besuch
Wie wir alle wissen, ist Weihnachten eine Zeit der Liebe und der Freude. Und so weiter. Friede, Freude, Eierkuchen. In einer weihnachtlichen Geschichte sollte man also etwas ›Nettes‹ lesen. Etwas Aufbauendes, das einem den Geist von Weihnachten vermittelt … ›lieb‹ muss es sein.
Wisst ihr was? Ich habe schon solche Geschichten geschrieben. Vielleicht lese ich sie eines Tages jemandem vor … Aber jetzt, wo ich hier sitze, finde ich, dass ›nett‹ und ›brav‹ mir einfach zu nett und zu brav sind.
Daher erwartet euch hier eine kleine Weihnachtgeschichte, die ich schrieb, als ich fünfzehn war, in Deutsch, als Aufsatz. Ich bekam natürlich eine Sechs! Setzen! Thema verfehlt!
Die Geschichte, rein fiktiv, und irgendwelche Ähnlichkeiten mit lebenden, toten oder übernatürlichen Wesen wäre rein zufällig, beginnt an einem kalten 24. Dezember, und (ich weiß nicht mehr warum) sie spielt in England, während des Krieges, in einer kleinen Hütte irgendwo an der Küste Cornwalls.
Genau dort kommen wir jetzt an.
Bei Maria.
Wie jeder von uns, hat auch Maria Magdalena Smith ihr Schicksal zu tragen, aber sie trägt schwerer an ihm als andere, denn sie ist blind. Sie ist nicht blind geboren. Nein, es geschah diesen Sommer, gerade mal vor fünf Monaten, als sie eine Tante in London besuchte und so eine verdammte V2 direkt vor ihr auf der Straße einschlug.
Im Vergleich war es nicht weiter schlimm. Es gab ohnehin schon keine ganzen Fensterscheiben mehr in der Gegend, Löcher hatte die Straße auch schon vorher, und außer Maria Magdalena war niemand anders auf der Straße gewesen, als das Ding herunterkam. Sie kann ihn heute auch noch sehen, diesen grauen Schatten, der vor ihr in den Boden rast. Dann der Blitz, der Knall, dann nichts mehr.
Die Ärzte sagten, sie habe Glück gehabt. Der Explosionsdruck hatte sie quer durch ein Haus geschleudert, durch zwei offene Fenster hindurch. Auf der anderen Seite landete sie in einem Misthaufen.
Es war ihr nichts weiter geschehen. Ein Wunder, zweifelsohne.
Nur … Sie war blind. Die Ärzte verstanden es nicht. Sie konnten keine Schädigung irgendeiner Art feststellen, es fehlte ihr nichts.
Sie konnte nur nicht mehr sehen.
Das wird schon wieder, beruhigte man sie und entließ sie aus dem Lazarett. Man hatte anderes zu tun, ernsthafte Fälle zu behandeln. Sie solle sich Ruhe gönnen.
Nur – es wurde nicht wieder.
Heute, fünf Monate später, hat Maria ihr Leben wieder einigermaßen im Griff. Sie gönnt sich auch die verordnete Ruhe, ehrlich gesagt mehr Ruhe, als ihr lieb ist. Sie hat sich eine kleine Kate kaufen können, gut vierhundert Jahre ist das Haus nun schon alt, unten gibt es eine Küche, klein genug, um sich darin dreimal umzudrehen, noch ein Zimmer mit Kamin und dann einen Dachboden. Dort steht ihr Bett. Die Stiege nach oben ist sehr steil, und anfänglich ist Maria hin und wieder gestürzt, jetzt aber kennt sie jede Stufe auswendig.
Maria ist nicht glücklich, sagt sich aber, dass sie auch nicht unglücklich sein sollte, denn ihr ist doch vieles geblieben. Sie hat ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen, sie ist gesund und jung, noch keine vierundzwanzig. Obwohl sie blind ist, interessieren sich die Männer für sie. Aber sie will niemandem zur Last fallen.
Sie hat auch eine Aufgabe, hat einen neuen Sinn in ihrem Leben gefunden. Denn sie besitzt immer noch ein gutes Gehör. Wenn die deutschen Bomber kommen, hört sie die Hunnen früher, als die meisten anderen sie sehen können. Deshalb besitzt sie auch ein Telefon. Sie ruft an und gibt ihre Meldung durch. Das Telefon ist ihre Nabelschnur in die große weite Welt, nur dass sie selbst kaum angerufen wird.
Eigentlich nie.
Das liegt daran, dass sie keine Familie hat. Maria ist eine Waise, wuchs in einem Waisenhaus auf. Sie hat nur ihre Tante, und die ist eher ehrenhalber, der Verwandtschaftsgrad so dünn, dass man ihn vernachlässigen kann. Freunde hat sie auch nur wenige, denn sie war
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