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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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immer fleißig und züchtig, ging selten aus, und wenn man sie einlud, hatte sie Hausaufgaben zu erledigen, musste lernen, wollte lieber ein Buch lesen. Nicht einmal die entfernte Tante hat angerufen, seit Maria hier wohnt. Sonst auch niemand.
    Aber Maria hat noch etwas anderes. Ein Radio. Es ist ihre geheime Leidenschaft, es ist ihre Welt. Ihr bequemer Stuhl steht direkt daneben, und mittlerweile kann sie es so fein einstellen, dass sie damit sogar ganz weit entfernte Sender empfangen kann. Wenn sie vor dem Radio sitzt und der Musik lauscht oder den Nachrichten aus der großen Welt, dann kann sie sich alles vorstellen. Kann Monty in der Wüste gegen die Deutschen anfeuern oder förmlich sehen, wie Glenn Miller in der Carnegy Hall aufspielt. Manchmal summt sie mit. Leise, sie traut sich nicht laut zu singen, sie könnte damit ja jemanden stören. Sie wohnt ein paar Minuten vom Dorf entfernt, niemand hört sie, aber so ist Maria eben.
    Manch einer könnte nun zu dem Schluss kommen, dass das Schicksal von Maria Magdalena Smith ein hartes sei, und vielleicht würde sie zustimmen. Aber sie hat noch etwas, das vielen Menschen verloren gegangen ist.
    Sie hat ihren Glauben.
    Sie weiß, dass der Herr sie liebt, sie weiß, dass sein Sohn für sie starb und ihre Sünden auf sich genommen hat … Maria geht häufig in dem Bewusstsein zu Bett, dass es SEINE Entscheidung war, sie so zu prüfen. Und dass ER schon weiß, was ER tut.
     
    An diesem Tag, die Zehnuhrnachrichten sind gerade vorbei, vernimmt sie ein lautes Pfeifen, ganz ähnlich dem, das sie hörte, bevor die verdammte V2 einschlug. Daher zuckt sie erst einmal zusammen. Aber das Pfeifen verwandelt sich zu einem Heulen, schlägt um in ein Rauschen, als fege ein Sturm über ihre kleine Kate, und schließlich endet es mit einem dumpfen Schlag, den sie durch die Sohlen ihrer Schuhe spürt.
    Auch dieses Geräusch kommt ihr bekannt vor. Einen Monat zuvor war unweit ihres Hauses eine Spitfire abgestürzt, das gab am Ende auch so einen Schlag … Nur scheint es diesmal viel näher. Das hier hat sich angehört, als wäre das Flugzeug geradewegs in ihren Gemüsegarten eingeschlagen.
    Für einen Moment sitzt sie nur da, weiß nicht, was sie tun soll. Soll sie rausrennen und zu helfen versuchen? Aber wem, und wie, sie kann ja nicht mal etwas sehen. Sie greift zum Telefon, lässt den Hörer aber wieder sinken … denn nun vernimmt sie ein neues Geräusch. Eine Stimme. Eine laut fluchende männliche Stimme. Eine lästerlich fluchende, sich nähernde männliche Stimme.
    »Diese verdammten Idioten, sie wissen nicht einmal, auf was sie da schießen, diese gottverdammten hirnlosen Tunichtgute! Verflucht sollen sie sein … Das hat mir gerade noch gefehlt! Hornochsen allesamt, gottverdammte!«
    Und dann ist es zu spät, um zum Telefon zu greifen, denn mit den letzten Worten donnert es bereits an der Türe. Wer auch immer es ist, begehrt nun Einlass in ihre Kate. Wenigstens kein Deutscher, denkt sie, denn sie versteht das Gefluche nur zu gut. Aber auch wenn es kein Deutscher ist, der Schreck sitzt ihr tief in den Knochen, und sie kann sich beim besten Willen nicht bewegen, fühlt sich außerstande, auch nur einen Pieps von sich zu geben.
    »Verdammt, ich weiß, dass da jemand drin ist, ich sehe doch den Rauch … Aufmachen, es ist arschkalt hier draußen!«, ruft es von draußen. Wieder hämmert es gegen die Türe. Und dann springt sie auf. Mit panischem Entsetzen stellt Maria fest, dass sie vergessen hat, den Riegel vorzulegen, und nun diesem Eindringling hilflos ausgeliefert ist!
    Sie hört Schritte, nur zwei, denn man braucht nur zwei Schritte, um den kleinen Raum zu durchqueren, und sie sitzt da regungslos wie eine Maus, die hofft, dass man sie übersieht. Sie spürt den kalten Luftzug und riecht den Schnee, den der Fremde mit hineinträgt.
    Die Tür schließt sich mit einem Klicken. Stille. Sie wagt nicht, sich zu bewegen, obwohl er sie ohnehin sehen muss, zusammengekauert in einem Wollkleid, mit dem Schal um den Hals, vor dem Radio, aus dem leise Musik zu hören ist.
    »Sieh mal an, ein Frauenzimmer«, beginnt die raue Stimme. »Ganz alleine hier, was? Die Hütte ist ja nicht mal groß genug, um einen Hund zu verstecken. Einen Hund solltest du aber haben, er würde auf dich aufpassen und bellen und die Füße und das Bett wärmen … Warum hast du keinen Hund, so alleine hier draußen?«
    Noch immer kann sie sich nicht bewegen, kann keine Antwort geben.
    »Hey, was ist mit dir,

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