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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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schon so manchem Geschenke …
     
    Vierzehn Frauen, acht Männer und zwei Kinder.
    Sie blickten hinab auf das Heer der Wucherer und Schacherer, das sich am Belagern glaubte. Weidende Schafe, ihre falschen Choräle blökend, in denen die Nacht still war und heilig und nicht durchdrungen vom Funkenlärm eines Sturmangriffs.
    Die letzten Weinaxtmenschen wandten dem Heerlager den Rücken und gingen zu ihren Rentieren. Langsam und bedächtig behängten sie die Hornschaufeln mit bunten Kugeln, goldfarbenen Bändern, Glöckchen und kleinen Figürchen, welche die Ahnen darstellten. Die Sättel und Zaumgurte wurden mit blinkenden Kristallen, Edelsteinen und auch Früchten verziert, bis jedes einzelne Rentier ein Schmuckwerk war, das vom Auge kaum erfasst werden konnte.
    Dann knieten sie sich hin, in einem großen Kreis.
    Tieftönig sangen sie einen der echten Choräle. Es war, als würde der Wind mit einstimmen, der den Schnee über die Flanken der Berge fegte und die großen Bäume beugte, als wären auch sie im Gebet begriffen.
    Die letzten Weinaxtmenschen sahen sich in die Augen und falteten zum letzten Mal ihre Taschentücher. Die Äxte, silbern glänzend wie der Mond, würden sich wieder rot färben müssen wie in alter, ehrenvoller Zeit, die Farbe von frisch gekeltertem Wein annehmen, Schmerzen verschütten und Leben vergießen. So stiegen sie denn auf ihre Rentiere und ritten zu Tal in funkelndem Gebimmel, in einer Lawine aus Schneefall und Schutt, um den Wucherern und Schacherern ein weiteres Mal die alten Werte zu lehren, bis diese sie endlich begreifen würden.
     
    Die Gegner waren träge vom vielen Fressen. Jede hastige Bewegung ging über in brackiges Rülpsen. Aber sie waren gut aufgestellt, die Katapulte waren bemannt, die Papierbataillone geduldig und gefasst.
     
    Die Weinaxtmenschen stießen ihren Kriegsruf aus. Weithin hallte es über das Heer:
    »Hoooooooohhhh! Hoooooooooohhhhh! Hooooooooooooooohhhhhh!«
     
    Dann fielen die ersten fünf von ihnen im ohrenbetäubenden Speerbeschuss der Nadelbaumkatapulte. Gliedmaßen und Zweige gischteten in Schnee. Das Gebrüll der Schützen war noch lauter als das der Getroffenen.
    Vier weitere glitten aus auf den Lagen bunt bedruckten Papiers, die das Heer der Feinde begrenzte, wurden von den hurtigen Bataillonen umwickelt, verschnürt, in Pappe gestaucht, getragen, sortiert, gestapelt, verschickt und erst am anderen Ende der Welt wieder ausgepackt.
    Zwei wurden mit billigen Duftwässern besprüht, geblendet und überdosiert.
    Zwei dermaßen mit klebrigen, goldenen und silbernen Metallfäden beschmissen, dass sie unter der Last zu Boden gingen und von den unablässig krähenden Kinderchören in Stücke getobt werden konnten.
    Einer wurde von einem Söldner mit einer geschmacklos gemusterten Würgekrawatte erwischt und erdrosselt.
    Einer fiel in Kerzenwachs und brannte lichterloh.
    Die übrigen neun feierten die Nacht und den Morgen der weinroten Äxte, bis ihre Waffen satt waren und sich nicht mehr heben ließen. Die Wucherer und Schacherer setzten ihre halb automatischen Auspreiser ein, bis die Weinaxtmenschen im Gebrüll der Sonderangebote erst immer weniger wert wurden und schließlich zu existieren aufhörten.
    Im Heer wurde es still, bis das blecherne Singen und das allgegenwärtige Klingeln der Münzen wieder einsetzten.
     
    Von den vier in aller Herren Länder verschickten Weinaxtmenschen überlebte nur ein Einziger.
    Einer verschwand in dem unüberschaubar bürokratisierten Auffanglager einer Poststelle und wurde trotz einer späteren Nachforschung nie wieder aufgefunden.
    Einer zerbrach unterwegs beim ruppigen Be- und Entladen.
    Einer kippte aus einem Postsegler ins Meer und versank.
    Ein Einziger jedoch rettete sich aus dem Karton, indem er mit der Klinge seiner Axt Fesselschnüre, braunes Klebepapier und Pappe durchwetzte und sich in einer Wolke aus Füllmaterial ins Freie sprengte. Er rollte von der Ladefläche eines Postwagens in Neuschnee und beobachtete, wie die kleiner werdenden rotglühenden Rücklampen ihn mit der Nacht alleine ließen.
    Dann machte der letzte Weinaxtmann sich auf zu den stillen Behausungen der Wucherer und Schacherer.
     
    Er trug noch immer sein kriegerisches, stolzes Rot.
    Seine Axt trank noch immer den Wein, den die Leiber der Lieben ihm spendeten.
    Sein Bart war bald nicht mehr nur weiß vor feierlicher Asche, sondern auch vor Gram und Grimm.
    Die Wucherer und Schacherer, die von seinen nächtlichen Rachefeldzügen Legenden

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