Das Fest der Zwerge
ins Haus. Doch wo war der Bewohner?
»Zielperson nicht anwesend!«, verkündetet Riette nach einer Weile. Das rhythmische Knarren eines Bettes verriet, dass sie darauf herumhüpfte.
»Ausschwärmen!«, flüsterte Brams besorgt. Das Knarren hörte auf. Doch nur wenig später ertönte von draußen Rempel Stilz' über Gebühr laute Stimme: »Brams, das solltest du dir unbedingt ansehen!«
»Psst!«, zischte Brams erregt, doch Riette und Hutzel waren die Einzigen, die ihn hören konnten, und die hatten nichts gesagt.
Auf der Rückseite des Hauses hing der Hausbewohner an einem Balken. Sein verfärbtes Gesicht und die herausgequollenen Augen ließen keinen Zweifel an seinem Befinden.
»Dem haben sie aber einen ganz üblen Streich gespielt«, meinte Rempel Stilz.
»Au Backe!«, stieß Brams aus. »Was machen wir denn jetzt? Moin-Moin wird uns kein Wort glauben. Wenn wir mit leeren Händen zurückkommen, so wird er behaupten, wir hätten uns nicht bemüht, weil es uns zu kalt gewesen sei.«
»Wir fahren fort wie geplant«, schlug Riette vor. »Was, Hutzelmann?«
»Du meinst, wir sollen den toten Menschen durch einen toten Wechselbalg ersetzen?«, antwortete der Angesprochene bedächtig. »Ich weiß gar nicht, ob das geht. Es erscheint auch etwas sinnlos.«
»Vielleicht haben wir keine Wahl«, meinte Brams, tastete nach seinem Gürtel und erschrak. Der Beutel mit dem Wechselta.(lg), dem Stoff, aus dem Wechselbälger entstanden, war fort! Fieberhaft versuchte er sich zu erinnern, wann er ihn zuletzt gespürt hatte, doch es fiel ihm nicht ein. Er konnte ihn überall verloren haben. Widerwillig gestand er das Missgeschick seinen Gefährten.
»Dann nehmen wir ihn eben mit, ohne einen Ersatz zurückzulassen«, sprach Riette leichthin.
Hutzel hatte noch immer Einwände: »Wenn diejenigen, die ihn bestellt haben, einen dicken, toten Mann mit Stiefeln, rotem Gewand und langem, weißen Bart hätten haben wollen, der nicht mehr singt, so hätten sie ihn auch einfacher bekommen können. Bestimmt gibt es in unserem Vertrag einen Passus, der Moin-Moin die absolute Gewalt über uns gibt, wenn wir ihm keinen lebendigen roten Dicken liefern!«
Dagegen wagte niemand Einspruch zu erheben. Ratlos standen die vier Kobolde beieinander. Der Schnee fiel in dicken Flocken, und der Wind strich an den Eiszapfen entlang, die von der Dachkante herabhingen. Er brachte sie zum Singen und Klingen in sphärischen Klängen und himmlischen Melodeien. Inmitten dieser Idylle erinnerte sich Brams: »Ich hörte jemanden sagen, dass unsere Zielperson zwar nicht der Erste, aber auch nicht der Letzte sei. Anscheinend gibt es mehrere dicke, rote Sänger. Wir werden der Fährte dieser unfreundlichen Gäste folgen und Moin-Moin einfach einen anderen besorgen. Das merkt er nie!«
Seine Gefährten klopften ihm auf die Schultern und lobten ihn ob des schlauen Plans. Dann informierten sie die Tür über den verlängerten Aufenthalt im Menschenland. Sie war hocherfreut: »Reisen, Exkursionen, Entdeckungen! Toll!«
*
Chlodekrieg wusste, dass ihn seine Männer für diese Nacht hassten. Das konnte er ihnen nicht verdenken. Die Umhänge bis zu den Augen übers Gesicht gezogen, die Lanzen an den Körper gepresst, kämpften sie mühsam gegen das stärker gewordene Schneetreiben an. Schildwart schloss zu ihm auf und ließ sein Pferd neben seinem schreiten.
»Wirklich alle?«, fragte der jüngere Ritter besorgt.
»Alle sechs!«, bestätigte Chlodekrieg. »Wenn nicht heute, wann dann? Nach keiner anderen Nacht wird es so leicht sein, jemandem die Schuld für ihr Ableben in die Schuhe zu schieben. Macht Euch keine Sorgen, mein guter Schildwart! Der Graf hat nie ein Hehl daraus gemacht, wie sehr ihm die Roten Sänger und die freien Bauern ein Dorn im Auge sind. Und auch dem König wird es nicht den Schlaf rauben, wenn er erfährt, dass die Voraussetzungen, unter denen sein Ahn einst sein Versprechen geben musste, nicht mehr erfüllt sind.«
»Das klingt einsichtig und vielleicht auch vorteilhaft«, erwiderte Schildwart. »Doch was treibt Euch, Chlodekrieg? Was ist Euer Nutzen dabei?«
»Es gibt eine Weissagung, die mein Geschick mit dem ihren verbindet. Ein törichtes altes Weib sprach sie aus. Ich ließ ihr dafür das Fleisch von den Knochen peitschen, denn solch Geschwätz ist Verbreiten üblen Aberglaubens und bringt Unruhe. Doch das ist nicht Euer Belang!«, erklärte Chlodekrieg unfreundlich. »Überhaupt müssten wir gleich den nächsten erreicht
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