Das Fest der Zwerge
weitere Schlange mit Reisenden, und weil Koffer und große Taschen den Gang verstopften, dauerte es scheinbar eine Ewigkeit, bis wir uns aneinander vorbeigekämpft hatten. Als ich endlich meinen reservierten Platz erreichte, war ich nass geschwitzt und verfluchte die Tagung, wie ich es an diesem Wochenende schon mehrmals getan hatte. Warum bloß war ich nicht einfach zu Hause geblieben?
Ich hätte zwei schöne, ruhige Tage verbringen können, wäre vielleicht einmal über den Weihnachtsmarkt geschlendert und hätte Geschenke ausgesucht. Aber nein, ich hatte mich breitschlagen lassen, an dieser Podiumsdiskussion über Trends und Perspektiven der Fantasyliteratur teilzunehmen. Der Veranstalter hatte mich angerufen und mir vorgeschwärmt, dass gerade von mir wichtige Impulse kämen, das übliche Blabla. Jeder Autor ist in gewisser Weise eitel, ich bilde da keine Ausnahme, also hatte ich mich überreden lassen und war nach Stuttgart gefahren.
Was sich im Nachhinein als großer Fehler entpuppte.
Schon bei der Ankunft ärgerte ich mich, denn mein Hotelzimmer war nicht mehr als ein enges Loch unter dem Dach. Die Heizung sprang erst an, als sich der Hausmeister nach mehrfachem Drängen darum gekümmert hatte. Das größte Ärgernis aber war die Lesung, die am Samstagabend bei Kerzenschein stattfinden sollte. Im Programm gab es eine Änderung. Der Meister unserer Zunft, Matthias Wende, war angekündigt gewesen, aber er war leider erkrankt, und so sprang für ihn Jana van Loon ein, eine Newcomerin, die vor zwei Monaten ihren Debütroman veröffentlicht hatte und seither als eines der ganz großen Talente der Fantasyliteratur galt. In allen wichtigen Blättern war ihr Roman besprochen worden, und in jeder Buchhandlung musste man sich an Stapeln ihres Werks vorbeiquälen, das einem mit seinem neonfarbenenen Cover und dem Hologramm sofort ins Auge sprang.
Doch nicht nur das Buch war ein Hingucker.
Jana van Loon war auch noch jung, Anfang zwanzig, und sah aus wie ein Model. Ihr Autorenfoto machte sich nicht nur in den Zeitungen hervorragend, sondern auch auf dem Buchcover, das sie als Elfenkönigin darstellte. Mit ihrem langen wallenden, feuerroten Haar und ihrem äußerst eng anliegenden, grün schillernden Kleid war sie die Sensation des Abends. Die Kerzenflammen brachten ihr Haar zum Leuchten, während sie mit enthusiastischer Stimme von sich erzählte, von ihrer glücklichen Kindheit, ihren verständnisvollen Eltern und ihrer Leidenschaft für das Schreiben, mit dem sie schon im Alter von sieben Jahren begonnen hatte. Vor allem die männlichen Zuhörer waren wie hypnotisiert. Sie wirkte so zart wie ein Geschöpf aus einer anderen Welt, und die eleganten Handbewegungen, mit denen sie ihre Rede unterstrich, verstärkten noch den Eindruck, als könnte sie, wenn sie wollte, mühelos jeden verzaubern oder besser verhexen.
Und das schaffte sie dann auch, denn als sie endlich zu lesen begann, hätte eigentlich das große Gähnen unter den Fantasyfreunden einsetzen müssen. Der Text wimmelte von hölzernen Sätzen und platten Dialogen, und die Motive, die sie in ihrer Geschichte verwendet hatte, waren alles andere als neu. Aber keiner außer mir schien sich daran zu stören, alle waren verzückt vom Klang ihrer Stimme, von ihrem lieblichen Gesicht und ihrem charmanten Lächeln, das sie nach jedem Absatz ins Publikum schickte.
Niemand konnte ihr widerstehen.
Nach der Lesung bildete sich an ihrem Tisch eine lange Schlange, jeder wollte sich den Roman signieren und eine persönliche Widmung hineinschreiben lassen. Die vorrätigen Exemplare reichten nicht aus, der Buchhändler musste sogar noch einmal in seinen Laden fahren und Nachschub holen. Hatte es das auf einer meiner Lesungen schon einmal gegeben? Hatte ich es überhaupt schon auf irgendeiner Lesung erlebt? Ich saß starr vor Staunen auf meinem Platz, beobachtete das seltsame Treiben und fragte mich, ob Matthias Wende an diesem Abend auch einen solchen Hype ausgelöst hätte. Er hatte in diesem Herbst ebenfalls ein neues Buch herausgebracht, eine grandiose Erzählung über Schuld und Sühne, ein schmales Bändchen, aber phantastisch geschrieben. Die Kritik und auch die Leser waren geteilter Meinung gewesen, aber mir hatte es sehr gut gefallen. Ich hatte das Buch von zu Hause mitgenommen und bedauerte es, dass er es mir nicht signieren konnte.
Nachdem sich die Schlange endlich aufgelöst hatte, gab es im Foyer Wein und Häppchen, man stand in Gruppen zusammen und plauderte.
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