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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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Jana van Loon war von ihren Bewunderern regelrecht eingeschlossen, so eng, dass sie überhaupt nicht mehr zu sehen war. Ich hielt Ausschau nach dem Veranstalter, mit dem ich bisher nur ein paar flüchtige Worte gewechselt hatte, denn ich wollte ihn fragen, was Matthias Wende eigentlich fehlte. Zunächst konnte ich ihn nicht finden, doch dann entdeckte ich ihn im Dunstkreis von Jana van Loon, lachend, scherzend, schamlos flirtend. Ich sah aus der Entfernung eine Weile zu, ohne zu begreifen, wie ein Mann wie er sich so zum Affen machen konnte.
    Jemand sprach mich an und fragte mich, ob er mir einmal seine Geschichte schicken könnte, sie sei schon dreimal unbegründet von Verlagen abgelehnt worden. Geistesabwesend gab ich ihm meine Visitenkarte. Mich ödete dieser ganze Abend an. Ich war ziemlich einsilbig und trank zu viel Wein. Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre heimgefahren, aber am Sonntagvormittag stand noch die Podiumsdiskussion auf dem Programm, deretwegen ich hergekommen war.
    Eine halbe Stunde vor Mitternacht hatte ich genug und zog mich in meine Dachkammer zurück, deren Heizung inzwischen wieder ausgefallen war.
    Der Sonntag begann ohne den üblichen Stuttgarter Nieselregen, der Himmel war klar und winterblau. Während der gut besuchten Podiumsdiskussion gelang es mir, ein paar originelle Statements abzugeben, und ich kam mit mir und der Welt wieder halbwegs ins Reine. Jana van Loon war glücklicherweise nirgends zu sehen. Beim Mittagessen setzte sich der Veranstalter an meinen Tisch und entschuldigte sich, dass er sich am Tag zuvor kaum um mich gekümmert hatte.
    »Sie sind ja gestern Abend so schnell verschwunden.«
    »Ich war sehr müde«, log ich.
    Er lobte mein letztes Buch und fragte mich, woran ich gerade arbeitete. Ich erzählte ihm, dass ich vor zwei Tagen eine Kurzgeschichte abgeschlossen hatte und mir über Weihnachten eine kleine Auszeit gönnte. Anfang des nächsten Jahres würde ich dann mit einem neuen Roman beginnen.
    »Wie hat Ihnen denn der Vortrag von Jana van Loon gefallen?«, fragte er, während wir auf den Nachtisch warteten. »Wir haben ja solches Glück gehabt, dass sie für Matthias Wende eingesprungen ist und die Veranstaltung gerettet hat. Solches Glück.« Er lächelte versonnen vor sich hin.
    Unter den Tagungsteilnehmern waren mindestens zehn Leute, mich eingeschlossen, die den Abend hätten besser bestreiten können. Ich verkniff mir die Bemerkung.
    Man bot mir an, mich zum Bahnhof zu fahren, aber ich lehnte ab und nahm mir stattdessen ein Taxi. Es regnete inzwischen in Strömen, und ich wollte nur noch nach Hause.
    Nie wieder, schwor ich mir, als ich erschöpft im Zug nach Frankfurt saß, nie wieder würde ich zu einer solchen Tagung fahren. Bernd, mein Autorenkollege aus München, hatte vollkommen recht gehabt, dass er erst gar nicht gekommen war. Zu meinem Bedauern. Mein Magen zog sich leicht zusammen, als ich daran dachte, dass die Tagung sicherlich anders verlaufen wäre, wenn Bernd zugesagt hätte. Wir sahen uns viel zu selten. Zwar telefonierten wir häufig miteinander und schickten uns Mails, aber ein persönliches Treffen war eben etwas anderes.
    Gerade in Bernds Fall.
    Ich starrte aus dem Fenster und blickte hinaus in den Regen. Bernd und ich kannten uns bereits seit vier Jahren, wir waren uns bei den Augsburger Lesetagen begegnet und hatten uns von Anfang an gut verstanden. Inzwischen war eine wunderbare Freundschaft daraus geworden. Was Literatur anging, so lagen wir auf der gleichen Wellenlänge. Es tat einfach gut, sich auszutauschen, um Rat zu fragen oder einfach nur die Meinung des anderen zu einer Textstelle zu hören. Schreiben ist häufig eine sehr einsame Tätigkeit.
    Bernd war Anfang vierzig. Vor ein paar Jahren hatte er eine Freundin gehabt, aber mittlerweile hatte er sich getrennt und war wieder auf der Suche. Ich hatte irgendwann festgestellt, dass mein Herz schneller schlug, wenn er anrief; ich fing an, seine Mails anders zu lesen und nach verborgenen Botschaften zwischen den Zeilen zu suchen. Ich war verliebt wie ein Teenager und genauso schüchtern. Dass die Sache nicht so recht voranging, schob ich zunächst auf die räumliche Entfernung, bis mir eines Tages während eines Telefonats klar wurde, dass Bernd ganz und gar nicht die geeignete Kandidatin in mir sah. Beim Herumblödeln waren wir auf das Thema »Traumfrau« gekommen, und ich hatte Bernd provozierend gefragt, wie denn seine Vorstellungen seien. Natürlich hatte ich

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