Das Fest der Zwerge
Vertrauen habe missbrauchen können. Darin bestand für mich das eigentliche Wunder von Watergate – nicht in dem, was Nixon getan oder so ungeschickt zu vertuschen versucht hatte, sondern darin, dass die Menschen auf lange Zeit hinaus immer noch gewillt waren, ihn beim Wort zu nehmen.
Natürlich glaubt nicht jeder, der es auch behauptet, an den Weihnachtsmann. Es gibt gute Gründe, in dieser Angelegenheit zu lügen. Wenn alle Kinder plötzlich aufhörten, an den Weihnachtsmann zu glauben, wie wäre es dann um Weihnachten bestellt? Das ist eine ernsthafte politische Frage, mit der sich die nun folgende Geschichte auseinanderzusetzen versucht.
Die ersten Enthüllungen gerieten am Tag nach dem Erntedankfest in die Schlagzeilen. Kaum war ein Jahr vergangen seit der epochalen Entscheidung des Obersten Gerichts, dass sämtliche Bürgerrechte schon vom fünften Lebensjahr an Gültigkeit haben sollten. Nach Jahrhunderten der Entmündigung und Repression war nun auch die letzte Minderheit endlich frei. Frei, um zu heiraten. Frei, um zu wählen und ein Amt zu bekleiden. Frei, die Zeit zum Schlafengehen selbst zu bestimmen. Frei, das Taschengeld nach eigenem Gutdünken auszugeben.
Für jene Gruppen des öffentlichen Lebens, die die Emanzipation der Youngster in Gang gesetzt hatten, brachen goldene Zeiten an. Ein typisches Beispiel war das Kaufhaus von Lord & Taylor, das sich während der zwei vorausgegangenen Jahre mächtig verschuldet hatte, weil zu der Zeit gerade Thermo-Körperfarben stark in Mode waren. Nachdem das Kaufhaus seinen Namen in »Blöde Klamotten & Doofe Schuhe« geändert hatte, schnellten schon im zweiten Quartal von '79 die Erträge in Rekordhöhen. Im Unterhaltungssektor schaffte das Broadway-Musical I See London, I See France den absoluten Durchbruch, und zwar sowohl bei den Zuschauern als auch bei der Kritik. Der für die Our Own Times schreibende Theaterkritiker Sandy Myers stellte fest: »Ich finde, das Musical zeigt, wie toll unsere Kinder heutzutage drauf sind. Ich finde, jeder, der gerne singt und tanzt und solche Sachen macht, sollte hingehen und zugucken. Aber prüde Typen seien gewarnt: Die Witze sind ganz schön derb.«
Derselben Zeitung gehörten die detektivischen Reporter Bobby Boyd und Michelle Ginsberg an, die an einem denkwürdigen Novembermorgen die Weihnachtsmanngeschichte auseinanderpflückten. Unter dem fett gedruckten Aufreißer:
ES GIBT KEINEN WEIHNACHTSMANN!
berichtete Bobby, wie ihm vor einigen Monaten, als er etliche Truhen und Kisten im Haus seiner Eltern durchwühlt hatte, ein Kostüm in die Hände gefallen war, das bis auf den letzten Knopf genau dem des »Weihnachtsmannes« entsprach, der am letztjährigen Weihnachtsabend zu den Boyds gekommen war. »Meine Seele«, schrieb der junge Gewinner des Pulitzer-Preises, »war hin- und hergerissen zwischen Wut und Furcht. Der Gedanke, dass mir und meinen Brüdern und Schwestern auf der ganzen Welt jahrelang was vorgegaukelt worden war, machte mich wütend. Dann, als ich die Schwierigkeiten überblickte, die mir gegenüberstanden, fing ich vor Furcht zu zittern an. Wäre mir klar gewesen, dass mich die Spur der Schuld ans Schlafzimmer meines Vaters führen würde, hätte ich vielleicht einen Rückzieher gemacht. Natürlich war in mir schon früher ein Verdacht aufgekommen.«
Aber pure Verdächtigungen, so stichhaltig sie auch sein mochten, reichten Bobby und Michelle nicht aus. Sie wollten Beweise. Nach monatelanger, harter und herzzerbrechender Arbeit hatten sie nur Gerüchte, Andeutungen und widersprüchliche Behauptungen zutage gebracht. Dann, Mitte November, als sich die Geschäfte schon für Weihnachten rüsteten, traf Michelle mit einem mysteriösen Mann namens Clayton E. Forster zusammen. Forster gestand, dass er wiederholtermaßen Rolle und Namen des Weihnachtsmannes angenommen habe und dass dieser Betrug aus Geldern finanziert worden sei, die prominente New Yorker Geschäftsleute eigens zu diesem Zweck zurückgelegt hätten. Auf die Frage, ob er jemals den echten Weihnachtsmann getroffen oder mit ihm gesprochen habe, antwortete Forster geradeheraus, dass es den nicht gebe. Forster konnte seine Behauptungen nicht öffentlich wiederholen; daran hinderten ihn städtische Beamte (er wurde nämlich wegen Landstreicherei ins Gefängnis gesteckt). Doch Michelle hatte das Interview auf Tonband aufgenommen, und so waren die Reporterkollegen in der Lage zu hören: »Weihnachtsmann? Mensch, Kinder, das ist doch alles
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