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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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insgeheim auf eine ganz bestimmte Antwort gehofft.
    Bernd hatte kurz überlegt. »Natürlich muss sie toll aussehen«, hatte er dann erwidert. »Sie muss zu mir passen und meine Interessen teilen. Und sie muss Spaß an Sex haben …«
    »Blond oder schwarz?«, hatte ich mit einem Kloß in der Kehle gefragt.
    »Die Haarfarbe ist völlig egal.«
    Er machte nicht die geringste Andeutung, dass jemand wie ich seinen Erwartungen entsprechen könnte. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber ich war enttäuscht. So enttäuscht, dass ich mich darüber ärgerte. Es fiel mir in der ersten Zeit nach diesem Telefonat nicht leicht, noch unbefangen mit Bernd umzugehen. Und noch schwieriger war es, meine Träume aufzugeben.
    Während dieser Zugfahrt musste ich nun wieder daran denken. Und ich erinnerte mich an Jana van Loon und wie angetan alle von ihr gewesen waren – trotz ihres grauenvollen Schreibstils. Aber hatte das irgendjemanden an diesem Abend interessiert? Schöne Menschen hatten es im Leben eben doch viel leichter, obwohl jeder behauptete, dass es auf die inneren Werte ankam. Alles Lügen! Frustriert starrte ich aus dem Fenster in die dunkel werdende Landschaft.
    Seit fünfzehn Jahren schrieb ich Fantasyromane und war inzwischen in der Szene ziemlich bekannt geworden, wenn auch natürlich niemals ein solcher Rummel um mich veranstaltet worden war wie um Jana van Loon. Das Schreiben machte mir sehr viel Spaß, und ich hatte mir damit einen Kindheitswunsch erfüllt. Nachdem ich meinen ersten Verlagsvertrag erhalten hatte, hatte ich mein Lehramtsstudium abgebrochen und mich aufs Schreiben konzentriert. Anfangs hatte ich noch jobben müssen, um mich über Wasser zu halten, aber nach einer Weile hatte ich von meinen Büchern und den Lesungen leben können.
    Mit Mitte zwanzig hatte ich geheiratet. Thomas hatte in derselben Stadt wie ich Betriebswirtschaft studiert. Anfangs war unsere Ehe sehr glücklich gewesen, selbst wenn Thomas meine Leidenschaft fürs Schreiben nie so recht teilen konnte und mich immer ein wenig für verrückt hielt. Mit dreißig wollte ich Kinder, ich träumte von einem idyllischen Familienleben, aber ich wurde nicht schwanger, obwohl wir es drei Jahre lang intensiv probierten. Weder Thomas noch ich hatten Lust auf eine Odyssee von Arzt zu Arzt, wir gaben einfach auf. Seitdem hatten wir uns nur noch sehr wenig zu sagen, und als ich eines Tages feststellte, dass Thomas schon etliche Monate eine Affäre mit einer Arbeitskollegin hatte, packte ich meine Sachen und zog zu meinen Eltern.
    Nach der Scheidung fand ich in Frankfurt eine schöne Wohnung und konzentrierte mich auf meinen Beruf. Ich gewann mehrere Preise, und einige meiner Bücher wurden sogar mit einigem Erfolg auf dem amerikanischen Markt verlegt.
    Es lief eigentlich alles ganz gut. Aber mehr auch nicht. Ich schlitterte in einige Beziehungen, die alle nur wenige Wochen dauerten. Die große Liebe war nicht darunter. Die große Liebe, zu dieser Erkenntnis war ich inzwischen gelangt, gab es ohnehin nicht.
     
    Als der Zug in Frankfurt einfuhr, war es draußen bereits stockfinster. Auf dem Hauptbahnhof herrschte Gedränge, Weihnachtsmusik dudelte aus den Lautsprechern, und in den kleinen Buden wurden Kerzen, Honig und Christbaumschmuck angeboten. Es duftete nach Zimt und heißen Crêpes, und als ich an den Buden vorbeihastete, um meine S-Bahn noch zu erreichen, fragte ich mich, an welchem Punkt meines Lebens Weihnachten für mich den Zauber verloren hatte.
    Es musste schon lange her sein. In meiner Kindheit war Weihnachten eine Zeit der Wünsche und der Geheimnisse gewesen, ein Fest, auf das ich mich in feierlicher Erwartung gefreut hatte. Wenn der Christbaum dann endlich in seinem Lichterglanz erstrahlte, war ich unbeschreiblich glücklich.
    Nichts davon war übrig geblieben. Das Weihnachtsgeschäft kurbelte natürlich den Buchverkauf an, das war mein bedeutendster Berührungspunkt mit diesem Fest, aber sonst?
    Während ich auf die S-Bahn wartete, überlegte ich, was mich jetzt wirklich glücklich machen würde. Die einzige Antwort, die mir einfiel, war, Weihnachten mit Bernd zu verbringen. Und das nicht bloß als Freunde.
    Die S-Bahn fuhr ein. Ich zerrte meinen Trolley hinter mir her und fand einen freien Vierersitz, sodass ich wenigstens meine Beine ausstrecken konnte. Ich fühlte mich ausgelaugt und müde und freute mich auf ein heißes Bad. Vielleicht hatte Bernd ja angerufen und mir auf meinen Anrufbeantworter gesprochen. Oder er hatte

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